Kritik zu “Jürgen Friedrich: REBOOT & NANO BROTHERS”

Jenseits ausgetretener Wege

Jürgen Friedrich und seine Mitspieler zeigen einen völligen freien Umgang mit musikalischen Trends

Jürgen FriedrichDer Mann hat eine klare Botschaft, man könnte auch sagen: Er ist Testamentsvollstrecker. Ganz im Geiste der Jazz-Überväter Charlie Parker und Miles Davis hat er keine Lust auf Denkverbote in der Musik. „Ich spiele nicht Jazz, ich mache Musik!“, sprach Miles. Das führt der in Braunschweig geborene und in Köln lebende und lehrende Jazzpianist Jürgen Friedrich am Freitagabend im Braunschweiger Lindenhof bei einem gut besuchten Konzert anschaulich vor. Und zwar höchst spannend, unterhaltsam und hintersinnig. Ein Wechselbad zwischen abstrakter Tontüftelei und Vollbad im Wohlklang. Zwischen traditioneller Komposition und freiestem Spiel. Zwischen neu interpretierter Klassik und rasantem Bebop.

Freie Improvisation  bzw. Echtzeit-Komposition – für viele eher eine Schreckensvorstellung hektisch-strukturlosen Vor-sich-Hinspielens. Ganz anders aber das Ruf-Antwort-Spiel von Jürgen Friedrich an den Tasten und Johannes Ludwig am Altsaxophon.

Eine Tonvorgabe, vielleicht zwei. Wie nun reagieren? Kopieren? Verschieben? Veränderung des Intervalls oder aber der Dynamik? Oder aber eine Tonfolge dagegen  setzen, einen Akkord? Rhythmische Abänderungen? Eine große Bandbreite von musikalischen Reaktionsmöglichkeiten breiten die beiden Musiker aus. Wunderbar verfolgbar, weil das Arbeitstempo bei dieser Spielweise zwangsläufig herunter gefahren ist. Ja, mitunter hört man mit Schadenfreude: Wie wohl wird der Pianist auf mikrotonale Verschiebungen des Saxophonisten reagieren? Kriegt er das überhaupt hin? Heiße Tüftelei, bei der allein das Zusehen schon großen Spaß macht, insofern sich das Zusammenspiel auch mimisch und gestisch ausdrückt.

Aber auch die Trio- und Quartettarbeit  folgte der Devise: Keine bloße Unterhaltung, keine pure Hirnakrobatik. Devise: „Ihr sollt euch wohlfühlen, aber lasst es uns nicht zu leicht sein!“ Z.B. bei der Bearbeitung der Witold Lutoslawski-Komposition „Invention“. Im Original eine knapp einminütige Entfaltung  eines musikalischen Einfalls. Wie auch beim später gespielten Schönberg-Klavierstück 11/1 ein sehr interessanter Testfall für das Verhältnis von Jazz und klassischer Musik. Schlagzeuger Fabian Arends deutete die „Invention“ auf ganz andere Weise als der Bassit David Helm. Drei Musiker, drei rhythmisch- harmonisch sehr unterschiedliche Lesarten. Und zur Abwechslung dann ein Entspannungsbad in schönen Melodien und Harmoniefolgen („Reboot“). Ist das nun Jazz oder „Neue Musik“ oder was sonst? Auf jeden Fall Musik, an- und aufregend.

Klaus Gohlke

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