Kritik zu Nguyên Lê „Streams“ Quartet

Raffinierte Alchemie
Das Nguyên Lê -Quartett „Streams“ überzeugt mit einer ganz eigenen Fusion von Welten unter dem Dach des Jazz

Nguyên Lê – französischer Jazz-Gitarrist mit vietnamesischen Wurzeln. Zum dritten oder vierten Male in Braunschweig. Die Gelehrten streiten da noch. Unstreitig aber: Wiederum ausverkauftes Konzert. Das lässt stutzen. Es geht schließlich um Jazz. Man nennt ihn „Weltmusiker“, „personifizierte Fusion der Kulturen“ oder „Ethno-Jazzer“. Das aber riecht doch sehr nach Schön-Töner. Was er mitnichten ist.
Recht arglos klingt die Konzerteröffnung. Er lade ein zu einer „Journey to different places“, zu einer Reise an verschiedene Orte. Und so reisen wir musikalisch nach Marokko z. B., zu den Buddha-Figuren von Bamiyan, ins China der Ming-Dynastie, nach Martinique. Aber auch zu „sehr exotischen Stationen“, wie J.S. Bachs „Goldberg-Variationen“, in die „Hippocampus“-Welt, wobei in der Schwebe bleibt, ob es die Welt der Seepferdchen oder die der Gedächtniszentrale im menschlichen Hirn ist. Oder mit „Subtle Body“ zu den Alchemisten, zu jenen, die aus Stein Gold machen wollten, wie Lê erläutert.
Eine gute Bezeichnung für ihn selbst. Subtle, also raffiniert, feinsinnig, ausgetüftelt – das trifft diesen Mann hervorragend. Die uralte Gwana-Musik aus dem Maghreb, indische Ragas, vietnamesische und chinesische Phrasierungen, Rock und Funk, europäisch-romantischer Tanz, das sind die Steine, die Nguyên Lê bearbeitet. Aber nicht als folkloristische Adaptionen oder in Form stilistischen Wildwuchses, sondern als organisch strukturierte Musik auf der Höhe der Zeit, auch mit deren technischen Mitteln.
Ob das immer Gold wird, sei dahin gestellt. Die Bach-Bearbeitung wirkte etwas bemüht. Ganz anders aber „6h55“ mit seiner raffinierten Polyrhythmik oder das Amalgam aus Funk, Rock ‚n‘ Roll und ostasiatischen Skalen in „Swing a Ming“.
Ungewöhnliche Dialoge etwa zwischen Gitarre und Schlagzeug („Mazurka“), aufreizende Brüche zwischen ostinaten Figuren, minimalistischen Melodien am Bass bzw. Vibraphon und explosiven Ausbrüchen daraus(„Bamiyan“). Wahre musikalische Zwei-, wenn nicht gar Vierkämpfe. Das war es, was das Publikum begeisterte. Die Ausgestaltung der kreativen Freiheit, die den einzigartigen Reiz dieses Genres ausmacht.
Natürlich ist Nguyên Lê ein Ausnahmegitarrist und großartiger Musiker. Aber es wäre alles nichts, hätte er mit dem US-Amerikaner John Hadfield (Schlagwerk), dem Kanadier Chris Jennings (Kontrabass) und dem Franzosen Illya Amar (Vibraphon) nicht ausgesprochen hochklassige Partner im Quartett vereint. Knackige Grooves, bei denen man nicht weiß, wer wen antreibt, sphärisch-entrückende Klänge und vor allem ein absolut sicheres Interplay begeistern das Publikum und nicht zuletzt auch die Musiker selbst.

Klaus Gohlke