Interview mit Philipp Gropper

Über Lust und Last, avantgardistischen Jazz zu spielen

Das Jazztrio „Gropper/Graupe/Lillinger“ versucht, das Vokabular des Jazz zu erweitern. Dabei überschreitet es mancherlei Grenzen. Klaus Gohlke sprach mit dem Saxofonisten der Gruppe, Philipp Gropper, über die Absichten und Schwierigkeiten, zur Jazz-Avantgarde gezählt zu werden.

Herr Gropper, man zählt Ihr Trio zur Jazz-Avantgarde. Können Sie mit dieser Bezeichnung leben?

In Ermangelung eines besseren Ausdrucks: Ja. Das ist ja alles relativ. Wir sind Suchende, Forschende mit je eigenen musikalischen Wurzeln.

Könnte man Ihr Trio auch als eine Band bezeichnen, die sog. Neue Musik spielt. Z.B. bewusst auf so etwas wie Thema, Ausführung eines musikalischen Gedankens verzichtet?

Wir kommen vom Jazz. Aber es gibt da gewiss Überschneidungen. Die Grenzen verschwimmen. Unsere Musik ist teilweise präzise notiert, dann wieder frei. Was uns interessiert, das ist die Klangsprache. Sound im weitesten Sinne. Wir spielen nicht einfach Bebop-Linien nach. Oder formulieren ein Thema, über das dann jeder improvisiert. Natürlich gibt es auch Harmonieschemata, Akkorde als Grundlage für Improvisationen. Traditioneller Jazz ist für uns Ausgangspunkt, wie auch Neue Musik, elektronische Musik, Hip Hop usw. Überall findet man Inspiration; abstrahiert, überträgt ins „Jetzt“ und formuliert neu. Die Geschichte des Jazz ist die Geschichte einer ständigen Erneuerung.

Heißt das, dass das Zuhören schwieriger wird, insofern ihre Musik weder eingängig, noch gefällig, noch konventionell sein will?

Das hängt zum einen von den musikalischen Erfahrungen des Publikums ab. Andererseits wollen wir unsere Tonsprache klar rüberbringen. Es ist nicht unsere Absicht, alle zu schocken und vor den Kopf zu stoßen. Vielmehr sollen die Strukturen unserer Kompositionen erkennbar sein. Wir suchen nach   Klängen, Sounds, die uns selbst faszinieren. Wir haben durchaus den Wunsch, dass man das nachvollziehen kann und davon berührt wird. Wir wollen also mit den Zuhörern diese Faszination teilen. Mainstream allerdings liefern wir nicht.

Wie reagiert das Publikum auf ihre Grenzerweiterungen?

Oft heißt es: „So etwas haben wir noch gar nicht gehört. Das ist schwer einzuordnen. Aber trotzdem toll!“ Es gibt auch Leute, die einfach rausgehen, weil ihre Erwartungen, wie ein Jazzkonzert ablaufen soll, nicht erfüllt werden. Mal sind wir wie Aliens, mal völlig akzeptiert. Aber die Leute bemerken unsere Ernsthaftigkeit und Intensität in der Auseinandersetzung mit der musikalischen Materie. Es geht uns aber nicht darum, dem Publikum zu gefallen. Es geht uns um die Realisierung unserer musikalischen Überzeugungen.

Ihr Schlagzeuger Christian Lillinger sagte unlängst, dass der Gegenwartsjazz sich zwischen Langeweile und Terror bewege. Wie sehen Sie das?

Nun, ich kenne den Kontext nicht. Aus meiner Sicht ist Vieles eher an Eingängigkeit orientiert, will nicht fordern. Man setzt also auf Wiedererkennbarkeit. Oder eben auf plakativ Spektakuläres, dem oft wirklicher musikalischer Gehalt und tiefe fehlen. Und dann gibt es noch diese Hype-Schiene in den Medien. Es gibt urplötzlich irgendwo irgendjemanden, der den Jazz wiederbelebt, ihm den angeblichen Modergeruch nimmt. Man sieht so etwas auch bei den Festival-Acts. Es wird vorsichtig gebucht.

Denken Sie z.B. an die Aufregung um Kamasi Washington? Da weiß ich ja auch nicht, was das Revolutionäre sein soll.

Ja, sehe ich auch so. Aber mir gefällt die Energie, mit der sie spielen, das nahezu Hippiehafte des Auftretens. Das Problem, das ich sehe, ist, dass das Innovative ein anderes Hören verlangt.

Sie meinen statt des genussorientierten Hörens ein eher strukturiertes Nachvollziehen?

Das Innovative verlangt eine andere Offenheit, ein Loslassen von Erwartungen. Es findet den Weg in die Öffentlichkeit nicht so leicht,  lässt sich nicht so gut verkaufen und bleibt daher oft im Untergrund. Dennoch gilt für uns: Wir spielen, was für uns wichtig und spannend ist. Es heißt ja oft, man soll das Publikum abholen. Das kann aber nicht bedeuten, dass man sich anpasst. Wir holen es – wie gesagt – ab, um mit ihm zusammen neues Gelände zu betreten.

Sie sagten vorhin, sie wollten improvisierte Musik machen, nicht Bebop-Linien spielen. Eine Absage an Traditionen?

Nein, überhaupt nicht. Ich komme selbst von Charlie Parker her. Wir haben früher alle Standards gespielt. Aber: Bebop war revolutionär in den 40er/50er Jahren. Jetzt nicht mehr. Er ist Geschichte. Die Musik ist immer noch gut und lebt weiter. Aber die musikalische Entwicklung ist weiter gegangen. Ob das Drum ’n‘ Bass ist oder Hip-Hop oder Modern Creative, Electronica. Was sich in der Rhythmik, der Instrumentierung, der Tongestaltung, den musikalischen Strukturen alles getan hat, das kann man doch nicht ignorieren. Die Erneuerung ist die Essenz des Jazz, ist seine Tradition.

Sind Sie mit Ihrem Jazz „einsame“ Musiker?

Nein, absolut nicht. Außerdem spielen wir in verschiedenen Projekten. Wer da in unsere Konzerte kommt, das hängt viel von den Auftrittsorten ab. Der Jazz hat, anders als der Pop, ein Vermittlungsproblem. Dabei gibt es keine Musik, die derart gegenwärtig beim Spielen ist, derart in der Lage ist, auf Aktuelles zu reagieren, wie der Jazz! Das ist doch hochgradig spannend, wer da was macht und warum. Improvisation, das ist etwas Spontanes, aus dem Inneren Kommendes. Aber das hat gleichzeitig einen verinnerlichten intellektuellen Unterbau. Das ist ja nichts, was man da einfach so hinhaut. Wir spielen seit 15 Jahren zusammen. D.h. in unserer Musik, unserem Interplay steckt eine jahrzehntelange auch intellektuelle Auseinandersetzung. Wenn wir dann auftreten, dann denke ich natürlich nicht über alles nach. Da laufen oft lang eingeschliffene Automatismen ab zusammen mit plötzlichen Wendungen ins Unerwartete, wo du spontan reagieren musst.

Kein Thema für die Medien?

Wenig. Aber vielleicht müssen wir auch selbstkritisch unsere Aktivitäten überprüfen.

Sie sagten, Sie setzten sich auch mit den Möglichkeiten Ihres Instrumentes auseinander, dem Saxofon. Knüpfen Sie am späten Coltrane an, dem das Instrument nicht mehr ausreichte, das, was ihn bewegte, auszudrücken?

Das Saxofon hat das Problem, dass man es z.B. schnell mit dem Genre Blues zusammendenkt. Wenn du etwas tief in dir ausdrücken willst, dann kann das Instrument dir Grenzen setzen, dich fehl leiten. Diese Grenzen zu erkennen und nach Wegen der Überwindung zu suchen, ist eine große Aufgabe. Das gilt wohl für jeden Instrumentalisten in unserem Trio.

Klaus Gohlke

Kritik zu “Gropper/Graupe/Lillinger”

In fremden Zungen
Das Trio Gropper-Graupe-Lillinger konfrontiert sein Publikum mit ungewöhnlicher Jazzmusik

Ernst sei das Leben und heiter die Kunst? Nein! Das, was die Berliner Jazz-Avantgardisten Philipp Gropper, Ronny Graupe und Christian Lillinger am Freitagabend im Roten Saal des Braunschweiger Schlosses zu Gehör brachten – es war kein Garten Elysium, in dem die himmlischen Rosen wachsen.
Wer da kam, um mal eben ein nettes Jazzkonzert zu hören, der sah sich bös überrascht. Denn was es da auf die Ohren gab, das war befremdlich, das klang oft wie musikalische Fremdsprache.
Kein verspieltes Intro, das in ein Thema mit erkennbaren Harmonien überwechselte. Keine Melodien, die man jazzig nennt, weil da die eine oder andere Dissonanz auftaucht. Und auch nicht die abwechselnde Solo-Virtuosität, und was es da so mehr an wohlstrukturiertem Jazz gibt.
Was aber dann? Chaos, was manche dann Free Jazz nennen? Auch nicht. Na klar, es sträubt sich das Nackenhaar, wenn der Gitarrist Ronny Graupe einen schwer einzuordnenden Akkord schier endlos monoton anschlägt, während seine Kollegen komplexe Rhythmen fabrizieren und Skalen hoch- und runter spielen. Was soll das? Ganz einfach: Struktur einziehen. Denn die Band hat keinen Bass. Es bedarf aber musikalischer Leitplanken. An anderer Stelle übernimmt Saxophonist Philipp Gropper diese Absicherungsarbeit mit sich wiederholenden großen Intervallsprüngen. Christian Lillinger weigert sich, die alte Drummer-Rolle des Timekeepers einzunehmen. Worum es geht, ist vielmehr, dass musikalische Impulse kreiert werden, auf die man reagiert. Diese Impulse sind oftmals minimalistisch. Einzelne Töne nur, die elektronisch manipuliert werden. Kein echtes Thema, mehr ein Denkanstoß in Form eines Sounds, eines Geräusches, mit dem sich jeder dann auseinander setzt. Erweitert, verändert, unterläuft, zerstört wird die musikalische Idee. Das ist ein intensives Zuhören und Reagieren aufeinander. Takte werden gezählt, intensiver Blickkontakt gehalten. Die Klänge schwellen an bis zur Schmerzgrenze, ebben ab. Rhythmen überlagern sich bis zur Unkenntlichkeit. „Morphen“, nennt Lillinger diese Methode, ein Klanggebilde fließend so verändern, dass ein neues daraus entsteht. Eine sich nicht zur Schau stellende Virtuosität wird dabei erkennbar.
90 Minuten arbeiten die Musiker in einem Stück, nur einmal kurz unterbrochen, um außermusikalischen Kontakt zum Publikum aufzunehmen. Harte Arbeit für die Musiker, aber auch für die Zuhörer, die dahinter kommen wollen, was da abgeht. Freilich: jene, die Stimmungen, feine Nuancierungen suchten, hatten es schwer. Die anderen feierten die modernen Kreationen.

Klaus Gohlke

Gropper/Graupe/Lillinger

Roter Saal im Schloss, Schlossplatz 1, 38100 Braunschweig

Philipp Gropper – Saxofon
Ronny Graupe – Gitarre
Christian Lillinger – Schlagzeug

Gropper/Graupe/LillingerJunge Jazz-Wilde, die arglose Konzertbesucher verprellen wollen, das sind Gropper/Graupe/Lillinger (GGL) nicht. Keine „Hyperactive Kids“ mehr, wie sie sich eine zeitlang nannten. Aber eine satt-routinierte, altersweise Truppe auch nicht. Vielmehr ein vitaler Organismus dessen Eigenleben sich im nun schon 14. Jahr seines Existierens wie ein unverhoffter Glücksfall auf das Publikum überträgt. Das passiert unmittelbar, weil diese simultanen, kollaborativen, ebenso freien wie disziplinierten Klanggespinste einen Nerv treffen und aus vorbeschrifteten Schubladen springen. Immanente Voraussetzung ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem, was da ist: Spielarten von Jazz, Neuer Musik, Elektronik, Noise, progressivem Rock.

Saxofonist Philipp Gropper, Gitarrist Ronny Graupe und Schlagzeuger Christian Lillinger haben jedoch die Elemente nicht verinnerlicht, um sie zu reproduzieren, sondern um daraus ihres zu destillieren. All die Wurzeln werden daraufhin befragt, warum sie einmal solche Dringlichkeit entwickeln konnten, um dann in eine Gegenwart gezoomt zu werden, wo sie sich dem Spirit des Jetzt zuordnen. Sehr formbewusst, individuell statt als Reproduktion, fiebrig statt linear, frei, dynamisch und konspirativ spiegeln die drei musikalisch das Leben der Metropolen der Gegenwart, setzen sich ihnen aus und bewegen sich Haken schlagend durch ihre Labyrinthe, offensiv und druckvoll. Musik von unbedingter Relevanz entsteht so, die sich immer mehr ihrer über weite Strecken auskomponierten Mittel bewusst ist.

Gropper/Graupe/Lillinger zählen zu den derzeit angesagtesten, in zahllosen Projekten mitmischenden jungen Musikern, die die Grenzen des Jazz weit zu öffnen beabsichtigen. Absolut zeitgenössisch, garantiert überraschend.

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Karten:

Eintritt: Abendkasse 20 € / 18 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen/StudentInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
GOD Gesellschaft für Organisation und Datenverarbeitung mbH
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig