Interview mit Angelika Niescier

Diversität bereichert den Jazz

Das Gleichstellungsproblem im Jazz aus der Sicht der engagierten Saxofonistin Angelika Niescier

Jazz sei nicht tot, meinte Frank Zappa einst, er röche nur komisch. Wenn man auch nur oberflächlich schaut, wer denn den Ton in diesem Genre angibt, dem kann es schon gewaltig stinken. Eine Männerdomäne nach wie vor. Symposien, Panels, Podiumsdiskussionen beschreiben das Gleichstellungsproblem detailliert. Was aber ist praktisch zu tun? Fragen wir dazu Angelika Niescier, renommierte Jazz-Saxofonistin und in Sachen Gleichstellung engagiert, die demnächst auch in Braunschweig mit ihrem italienischen Trio auftritt.

Frau Niescier, die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, sagte in Bezug auf die Genderdebatte: „Wenn sich die Kultur als die Avantgarde der Gesellschaft verstehen möchte, müsste sie auch in diesem Punkt voranschreiten!“

Abgesehen von der Frage: „Was ist eigentlich Avantgarde?“, muss ich dazu bemerken: Wenn es ein Grundzug dieser Gesellschaft ist, dass Mann und Frau in vielen Bereichen nicht gleichgestellt sind, wieso soll das gerade in der Kunst, beim Jazz anders sein? Jazz ist Teil dieser Gesellschaft, insofern spiegelt er auch deren Probleme wider.

Wenn bei 24 in Braunschweig beobachteten Jazzkonzerten 75 Männer und nur 6 Frauen auftraten, kann ich Ihnen nur zustimmen.

Das Ganze ist jetzt zum Glück wieder im Fluss. Zurzeit beschäftigen sich auch Musiker*innen intensiv mit dem Thema und versuchen die Strukturen zu verändern.

Es gibt bei Veranstaltern Überlegungen zur Einführung von Quoten.

Die Debatte um Quote ist nötig, um auf die Schieflage in der Präsentation aufmerksam zu machen. Es bleibt aber ein Werkzeug. Viel wichtiger ist es, das Mindset weiterzuentwickeln und endlich zu kapieren, dass Diversität, in welchem Bereich auch immer, bereichert. Die Durchführung ist dann die einfachere Aufgabe.

Was kann das denn praktisch heißen für die Konzertveranstalter vor Ort?

Der Veranstalter hat dafür zu sorgen, unterschiedlichen Stimmen, die am musikalischen Diskurs beteiligt sind, Gehör zu verschaffen. Das bedeutet im Einzelnen, die eigenen stereotypen Entscheidungsgewohnheiten zu hinterfragen; sich umzuhören, den Horizont zu erweitern. Je mehr Veranstalter*innen und Musiker*innen sich an diesem Diskurs beteiligen, desto diverser wird das Bild der Musik. Das hat natürlich einen Rückkoppelungseffekt auf die Gesellschaft.

Können Veranstalter von ihrer Seite her Hilfen erhalten?

Ja, wir sind dabei, Netzwerke aufzubauen. Wichtig ist vor allem, dass Frauen auf der Bühne stehen. Dass sie sichtbar sind. Außerdem: Warum werden wir Frauen eigentlich immer zu diesem Thema befragt und nicht bzw. kaum die Männer? Ich will darüber reden, welche Art von Musik ich hier mit meinem Trio spielen werde. Welche Einflüsse sie widerspiegelt, wie Diversität sich in ihr ausdrückt und entwickelt. Nicht darüber, welches Geschlecht, welche Hautfarbe und dergleichen eine Rolle spielt.

Interview: Klaus Gohlke

Kritik zu Angelika Niescier Trio „NOW“

Absolute Hingabe an die Sache, höchste Professionalität

Das Angelika Niescier Trio „NOW“ demonstriert überzeugend, was es heißt, gegenwärtigen Jazz zu spielen

Ohne Umschweife: Das war ein herausragendes Konzert, das das Angelika Niescier Trio „NOW“ am Freitagabend im Roten Saal ablieferte. Allein die Besetzung machte neugierig. Wie geht das zusammen – zwei Melodieinstrumente? Insbesondere das Akkordeon als Jazzinstrument – das ist nicht gänzlich neu, aber es hat doch eine Art Geschmäckle. Zumindest das Odium des Weltmusikalischen (was immer das auch sein soll) haftet ihm an, wenn nicht gar des Heimatabends. Wie geht das mit einer Angelika Niescier zusammen, die doch überhaupt gar nicht für ein musikalisches Walla-la-weia steht?

Nun, das ging ganz hervorragend, und zwar ganz einfach deshalb, weil das Trio Gegenwarts-Jazz spielt. Was hier meint: Jazz, der offen für alle Einflüsse ist, ohne beliebig zu werden. Der sich seiner Traditionen bewusst ist und die Grenzen zur Musik der Moderne selbstbewusst überschreitet.

Niescier, gewissermaßen von Natur aus eher heftig sprudelnder Quell denn breiter dahin fließender Fluss, zeigte dabei ein schier unerschöpfliches Repertoire musikalischer Ausdrucksmittel gepaart mit stupender instrumenteller Fertigkeit. Greifen manche Musiker beim improvisatorischen Suchen gern auf repetitive Muster zurück, bei ihr findet man das nicht. Wer mit ihrer Ideenproduktion mithalten will, muss schon sehr früh aufstehen.

Für Simone Zanchini am Akkordeon aber kein Problem. Gut, er spielt ein elektrifiziertes Instrument, aber warum soll diese technische Möglichkeit der Gitarre etwa vorbehalten sein? Und weil es gewissermaßen semi-akustisch ist, kann es auf Volkstümliches evozieren und es sofort auch transzendieren. Zanchini verfügt ebenfalls über ein komplexes musikalisches Repertoire. Er musiziert mit Niescier auf Augenhöhe. Und so vermögen sie zu monologisieren, zu dialogisieren, dass dem Publikum beinah schwindelig wird.

Darunter, dahinter, wie auch immer, liegt der alles erdende Bass. Es ist harte Arbeit, die rhythmisch komplexen und sich dauernd verändernden Kompositionen zu grundieren, zumal, wenn da der Anspruch besteht, nicht zu simplifizieren. Es geht mitnichten darum, irgendwelche ostinate Ausdauer zu demonstrieren. Stefano Senni, schafft den Raum, den seine Mitspieler benötigen, sich zu entfalten. Seine Soli zeigen, dass er dem Powerplay seiner Mitspieler durchaus Paroli bieten kann.

Insgesamt ist das Interplay beeindruckend. Natürlich – das Trio hat große Spielerfahrung, Man kennt sich schon lange. Aber es geht ja um mehr: nämlich ums Aufeinander-Hören, um Ideen-, um Impulsverarbeitung, um Einfühlung. Zwischenmenschlich und thematisch. Auch wenn man die Musik nicht immer zugänglich finden mag: Allein wegen der oben beschriebenen Aspekte gebührt den drei Musiker*innen großer Respekt.

NOWs Musik ist gegenwärtig. Sie erstickt nicht mit Abstraktionen, biedert sich nicht an. Vielmehr erlaubt sie beim Zuhören eigenes Assoziieren. Die mitunter metrische Vertracktheit, der Wechsel der Rhythmen, des Tempos lässt an Musik des Balkans denken. Die schnellen Harmoniewechsel, deren Erweiterungen und Brechungen erinnern fast an Bebop-Zeiten. Die feinen Melodielinien dazwischen wirken wie das Aufscheinen allerdings kaum zuordbarer Musik. Tonalitäten werden verwischt, es gibt abstrakte Klangcollagen und Effekte. Sakrale Orgelmusik erklingt. Es ist Musik, die ein Nachdenken über Existenzielles widerspiegelt bzw. dazu motiviert. Und schließlich und wahrlich: Nicht zuletzt ist die Musik politisch, wenn man an das „Tribute to Guiseppe Pinelli“ denkt oder aber an die Bezüge zur syrischen Kampfzone um Latakia und die Demokratieprobleme hier im türkischen Kontext. Kunst als Kind oder Mutter der Freiheit?! Vieles konnte einem da durch den Kopf gehen, wenn man wollte.

Und dann nach dem Konzert noch ein Ohr für die Begeisterten zu haben, vor allem wenn man bedenkt, unter welch völlig inakzeptablem zeitlichem Anreisestress die drei standen: das ist mehr, als man erwarten kann. Anders ausgedrückt: absolute Hingabe an die Sache, höchste Professionalität. Begeisterung allüberall.

Klaus Gohlke

Angelika Niescier Trio “NOW”

Roter Saal im Schloss, Schlossplatz 1, 38100 Braunschweig

Angelika Niescier – Saxophon
Simone Zanchini – Akkordeon
Stefano Senni – Kontrabass

BeitragsbildAngelika Niescier ist seit langem eine der aufregendsten Stimmen im deutsche Jazz. 2010 mit dem deutschen Musikpreis ECHO ausgezeichnet, ist sie eine der wenigen, die auch im Mutterland des Jazz, den USA, auf Interesse stoßen. 2017 bekam sie den renommierten Albert-Mangelsdorff-Preis. Die Saxophonistin ist eine Virtuosin mit einem wandlungsfähigen, beweglichen Ton, quicklebendig, überschäumend und einfallsreich. Stilsicher wechselt sie zwischen freier Improvisation und zeitgenössischer Komposition. Als Komponistin entwirft sie detailversessen, farbenfroh und konsequent hochgradig komplexe musikalische Räderwerke.

Das Trio mit den beiden italienischen Kollegen, mit dem sie nun NOW vorstellt, ist einem glücklichen Zufall geschuldet: Ein Kompositionsauftrag für das „Südtirol Jazzfestival Alto Adige“ brachte Angelika Niescier im Juli 2012 mit Stefano Senni und Simone Zanchini zusammen, die sie sich für diesen Anlass erwählt hatte: „Das war von Anfang an aufregend“, erinnert sie sich an die erste Begegnung bei Bozen. Simone und Stefano seien „sehr entspannt und doch hochkonzentriert“ gewesen. Entsprechend war das Konzert. Und entsprechend war auch der Drang, sich „noch weiter in den in das Projekt hinein zu begeben und dem Konzert eine CD-Produktion folgen zu lassen: NOW.

Stefano Senni legt am Bass die unerschütterliche Basis, während Akkordeonist Zanchini mal tangoartig melancholisch, mal rasend schnell zusammen mit Angelika Niescier das Spektrum zwischen folkloristischen Elementen, swingendem Jazz und Avantgarde auslotet – überaus unterhaltsam, spannend, originell, modern und traditionsbewusst.

» Weitere Informationen

Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
• Online über eventim
• Abendkasse

Eintritt: Abendkasse 20 € / 18 € (ermäßigt) / 10 € (Schüler*innen & Studierende)

Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Bildrechte Angelika Niescier Trio: Arne Reimer