Völlig angstfreier Jazz
Duncan Eagles „Partikel“ beeindrucken mit zeitgenössischer britischer Musik
England? Nun, was fällt Ihnen dazu spontan ein? Genau: Brexit, Terror, Finanzplatz. Na klar, auch Fußball! Also Klopp, Özil, Mourinho, Guardiola. Ziemlich englisch, was? Aber „Swinging London“, also Aufbruch, Jugendkultur, weltweiter Impulsgeber, das doch wohl kaum?
Duncan Eagles, Londoner Jazzmusiker, der Freitagabend auf Einladung der Braunschweiger Jazzinitiative im Lindenhof konzertierte, gibt sich diplomatisch zurückhaltend auf entsprechende Nachfrage. „Doch, ich denke schon, dass England immer noch swingt. Jedenfalls, was den Jazz betrifft. Nur, ein klein wenig anders!“
Und sie ließen es swingen, aber in einem sehr, sehr übertragenen, mit traditioneller Swingmusik nicht zu verwechselnden Sinn. Es war Gegenwartsjazz, der Angst vor gar nichts hat. Genre-Rück- und Übergriffe durchziehen die Kompositionen. Stilelemente des Blues, des Prog-Rocks werden ebenso verwendet, wie man Anspielungen auf klassische Musik angedeutet findet. Man bewegt sich mal in der Second-Line einer New-Orleans-Marching Band, dann wieder – unterstützt von Laptop-generierten impressionistischen Radiogeräuschen – im quirligen Gewusel einer chinesischen Großstadt. Mal Modern-Jazz, mal Electronica-Einsätze, die durch Hall-, Echo-, Harmonizer- und Sampling-Einsatz nahezu orchestrale Atmosphäre entstehen ließen.
Man könnte das nun als prinzipienloses Musizieren bewerten, aber das griffe zu kurz. Freilich: Der Jazzliebhaber, für den die Abfolge Thema – Improvisation – Thema mit erkennbarem Rückbezug auf harmonisch-melodische Strukturen das Maß aller Dinge ist, kann sich mit dieser Musik kaum anfreunden. Die Kompositionen aber haben es in sich. Der permanente Wechsel zwischen Gruppenzusammenspiel, Monologen und Dialogen, der mal soundorientiert ist, dann wieder völlig transparente Klänge herstellt, ist spannend.
Die Stücke haben absolut nachvollziehbare Strukturen. Oftmals werden Harmonien reduziert. Duncan Eagles am Tenorsaxofon konzentriert sich dabei auf zwei, drei Töne nur. Immer wieder leicht verändert, um dann im weiteren Verlauf diese komplex ins Offene auszuweiten. Seine Loop-Ausflüge waren allerdings nicht unbedingt vertiefend. Eric Ford, das Schlagzeug-Power-Pack, vermochte diese Spannungen präzise zu akzentuieren, Zurückhaltung war nicht unbedingt sein Ding. Wunderbar kontrastiv Max Luthert am Bass: Beinahe traditionell oft seine haltgebenden ostinaten Figuren und einfühlsamen Tiefton-Exkurse. Und David Preston an der Gitarre – er brauchte eine Weile des Sich-Aufwärmens und hätte mitunter schneller auf den Punkt kommen sollen – schuf hintergründige Klanglandschaften oder provozierte Eagles mit seinen Soli.
Das hatte alles Hand und Fuß und war sehr spannend. Folglich: man kann zu England nach diesem Konzert durchaus sehr Angenehmes assoziieren: spannende, scheuklappenfreie Jazzmusik. Deshalb zu Recht viel Beifall.
Klaus Gohlke