Zurück ist keine Zukunft
Jazz auf der Höhe der Zeit – eindrucksvoll gespielt vom Giovanni-Guidi-Trio
Nee, ne!? Sanfteste Dreiklänge, gefälligste und erwartbare Akkordwechsel. Romantisierend-volksliedhafte Melodien. Erstaunte Blicke im Saal, ungläubiges Hören! Sitzt man in der richtigen Veranstaltung? Das soll zeitgenössischer Jazz sein? Gespielt von einem Trio von größtem Renommee!
Bassist Nicolai Munch-Hansen tupft unbeirrt sanft tieftönige Bestätigungen. Schlagzeuger, nein, diese Bezeichnung ist zu brachial: Fell-und Blechstreichler Joao Lobo schabt und zischelt einen gefälligen Hintergrund. Ja, schön, zugegeben! Das klingt ja alles wunderlieblich.
Wo aber ist der Jazz? Jetzt schabt der Understatement-Trommler unangenehm an seinen Blechen. Der Bassist wird harmonisch diffuser. Und Pianist und Trio-Chef Giovanni Guidi scheint plötzlich abzudrehen. Harmonisch-Einleuchtendes wird zerstört. Dissonantes bricht sich Bahn. Die rechte Hand kreiselt in hohen Lagen, schwere Schläge mit der linken Hand. Was ein Klavier so alles aushält! Das Schlagzeug wird seinem Namen gerecht. Der Bass fügt sich ein. Zusammenhänge sind zerstört, eine völlige Free-Phase. Chaos statt Ordnung, Verstörendes statt Gefälligkeit.
Wie zur Beruhigung danach eine Bearbeitung der Farres-Komposition „Quizas“. Rhythmisch zunächst verschleppt – Guidi ist ein Meister im Umgang mit Tempoveränderungen – blüht das Stück dann auf zu elegant-synkopierter kubanischer Musik. Ein absolut ausgereiftes Zusammenspiel.
Später dann – wie Inseln im Klangkosmos auftauchend – auch Bekanntes. „My funny Valentine“, der alte Jazz-Klassiker. Und: ist das jetzt nicht „Can’t help falling in love“.?
Aber da ist kein Schwelgen in Erinnerungen Die Melodie-Zitate werden entfaltet, dann zunehmend verfremdet und in neue Kontexte gestellt. Gospel, Volksliedhaftes, Bluesphrasen, Mambo, Limbo, Hard-Bop, Filmmusikalisches, Atonales. Doch nicht als pures John Zornsches Fetzenwerk. Die Kompositionen sind strukturiert, die Teilthemen werden entfaltet.
Was das Guidi-Trio betreibt, kann man durchaus als systematische Irreführung der Zuhörer begreifen. Man wird beständig auf musikalische Fährten gelockt, die sich dann als abgründig erweisen.
Die dahinter stehende Idee ist klar. Die Musik – wie die Welt überhaupt – ist unübersichtlich geworden, es helfen keine einfachen Änderungen der Laufrichtung. Zurück ist keine Zukunft. Indem der Jazz diese Unübersichtlichkeit musikalisch aufgreift und anverwandelt, wird er zeitgenössisch. Was – wie die Begeisterung des Publikums zeigte – durchaus als anregend, lustvoll und provokant genossen wurde.
Klaus Gohlke