Kritik zu “Otto Wolters Quartett”

Ein Blick in Ottos Jazzwerkstatt
Der Theatersaal des Braunschweiger Lindenhofes wird mit dem Otto-Wolters-Quartett erfolgreich wieder eröffnet

Paolo weg, der Lindenhof geschlossen – für die Freunde der italienischen Küche und des stilvoll eingerichteten Gastraumes ein schwerer Schlag. Genauso wie für die hiesigen Jazzfreunde, war der angeschlossene Theatersaal doch fester Spielort geworden für die Veranstaltungen der Initiative Jazz-BS. Wo einen Ort finden für gut 150 ZuhörerInnen, der auch über Räume für die Musiker verfügt und über belastbare gastronomische „Unterfütterung“? Dunkle Zeiten zeichneten sich ab, zumindest ein Wanderleben, das für das zarte Pflänzchen „Aufführungskultur“ nicht gerade förderlich ist.
Doch siehe! Ein neuer Eigner und ein neuer Bewirtschafter trauten sich sowohl eine Restaurant-Neueröffnung und dann auch den Erhalt des Saales und seine Nutzung z.B. für Jazzkonzerte zu. Der Raum wurde behutsam renoviert und erstrahlt in zurückhaltendem Glanz. Freilich ist noch Etliches zu tun! Weil z.B. ZuhörerInnen und Band auf einer Ebene sitzen, ist es schwer die Musiker zu sehen, was ja zu einem Live-Konzert dazu gehört. Die Bühne selbst ist für eine Band wohl zu klein, wenn ein Flügel gebraucht wird. Gute Ideen sind also noch erforderlich.
Eine gebührende Neueröffnung sollte es nun am letzten Samstag geben, und – da kann man dem Jazz-BS-Chef Rainer Müller in seiner Anmoderation nur zustimmen – für Braunschweig und diesen Spielort „gebührend“ konnte nur heißen, mit der Jazz-Piano-Institution Otto Wolters und seinem Quartett zu starten. Schon Wochen vorher war das Konzert ausverkauft. Es wurde ein tiefer Blick in Otto Wolters‘ Jazzwerkstatt.
Dass das nicht ein rührend-wehmütiges Konzert von Jazzveteranen werden sollte, wurde von Beginn an deutlich. Wer mit Wayne Shorters „Black Nile“ startet, signalisiert Anspruch und Risikobereitschaft. Denn das ist keine moderate Einstimmungsnummer. Es geht vom Tempo und der kompositorischen Komplexität her zur Sache. Uli Beckerhof an der Trompete hatte sofort Schwerstarbeit zu leisten, und so routiniert alle vier Musiker auch sind, es knirschte hier und da doch ein Körnchen Sand im musikalischen Getriebe. Freilich, das ist bei einer Band, die sich eher punktuell trifft, nicht anders zu erwarten. Beckerhof nahm es gelassen. „Haben Sie gemerkt? Wir haben geübt!“, sagte er schelmisch-doppeldeutig.
Aber – vielleicht wäre ein Einstieg mit der Eigenkomposition „Dreampipe“ einfacher gewesen. Die balladeske Grundstimmung dieses Stückes mit seinem verhaltenden Tempo erlaubten Wolters schöne improvisatorische Ausflüge mit feinen Tempoveränderungen.
Auch als Trio ohne Trompete wusste man zu überzeugen. Feines Interplay, schöner Rollenwechsel dank des überaus klar konturierten melodiösen Bassspiels von Gunnar Plümer. Wolters ließ ihm und dem Schlagzeuger Michael Küttner viel Raum und Zeit, „ihr Ding zu machen“.
Intim wurde es, als Otto Wolters nach Quartett und Trio dann im Duo zusammen mit dem Sänger Matthias Köninger seiner Neigung nachging, so etwas wie deutsche Gegenstücke zum „Great American Songbook“ zu präsentieren. Alte deutsche Schlager, Filmmusiken der 1930iger bis 1950iger Jahre erhalten dabei ein Jazzgewand und sind dann keine alten Schmonzetten mehr. Theo Mackebens „Bei dir war es immer so schön“ als Bossa präsentiert, und später dann die Heymann-Komposition „Irgendwo auf der Welt gibt es ein kleines bisschen Glück“ – mit feinen Jazzharmonien entsentimentalisiert – zeigten Köninger als Sänger, der nicht nur den Mut aufbringt, sich derart zu exponieren. Vielmehr überzeugte er mit guter Phrasierung und klarer Orientierung im Ablauf der Kompositionen.
Wer die Arrangements vielleicht mitunter zu schematisch im Aufbau empfand (Thema-Solo1-Solo2 usw.- Reprise), manche Ablaufplanung unvollendet oder das Schlagzeugspiel zu Old-School-artig trommellastig empfand, der konnte sich mit der Interpretation von Herbie Hancocks „Cantaloupe Island“ getröstet sehen. Wunderbar groovend mit mutiger Scateinlage und einem großartig Tongebirge auftürmenden Uli Beckerhof ließen keinen Wunsch offen. In der Tat ein einnehmender Neustart der Lindenhof-Jazzkonzert-Serie.

Klaus Gohlke