Kritik zu “Shoot the Moon”

Kein Schuss in den Ofen

Die Initiative Jazz Braunschweig eröffnete die Konzertsaison 2015/16 mit der Berliner Band „Shoot the moon“ unkonventionell

Wie bekomme ich es hin, einzigartig zu erscheinen? Eine schwierige Kiste. Zum einen, weil jeder Mensch von vornherein einzigartig ist, siehe Fingerabdruck. Der aber ist – und da beginnt eben das Problem – nicht für jedermann sofort erkennbar.
Auch Jazzmusiker müssen Alleinstellungsmerkmale finden. Verkaufspsychologisch gesprochen, erhöht man so die Nachfrage und damit den Marktwert. Vorausgesetzt, das Besondere kommt nicht zu grob daher. Etwa der lauteste Drummer oder der speedigste Gitarrist zu sein.
Etwas Interessantes hat sich da die Berliner Kapelle „Shoot the Moon“, insbesondere die Bandleaderin und Saxofonistin Almut Schlichting ersonnen. Sie suchte Inspiration für ihre Jazztruppe in eher weltlichen Musiken des Mittelalters. In irischen Liedern, deftigen Volksfest-, Spott- und Tanzmusiken, aber auch im nordamerikanischem Country Blues. Und schrieb – weil die Band mit Winnie Brückner eine ausdrucksstarke Sängerin hat – ausgesprochen witzige bis skurrile Texte für ihre Kompositionen.
So fand sich das Braunschweiger Jazzpublikum am Freitagabend im Lindenhof plötzlich in der eigenartigen Welt der „Saints and fools“, der „Heiligen und Narren“ wieder. Piratenkönigin, Elisabeth I., St. Blaise, Sankt Barbara, Maria, Lucia, Wolf, Esel, Kaninchen und der große schwarze Hund gaben sich die Ehre. Und das auf eine Art und Weise, die im Jazz nicht oft anzutreffen ist, nämlich humorvoll.
Da wurden die heiligen Schutzpatrone kurzerhand in die Weltstadt New York versetzt, textlich und musikalisch. Sie wurden angefleht, den Kaffeestrom nie abreißen zu lassen und was es sonst noch so an Großstadtproblemen gibt. Aber nicht in Form frommer Choräle, das höchstens mal als ein fernes Zitat. Es war in diesem Falle eher programmartige „Fetzenmusik“, die in oft kurzen und dissonanten Phrasen das „Big Apple“-Gebrodel widerspiegelte. Der alle Ausdrucksspektren durcheilende Gesang – Rock, Pop, Soul, Blues, Lied und Rap durchmischend, wurde instrumental durch- und unterbrochen, kommentiert, kontrastiert hervorgehoben. Bassist Sven Hinse und Schlagzeuger Philipp Bernhardt hatten dabei eher die Aufgabe, für die beiden absolut überzeugenden Bläsern, neben Schlichting der Bassklarinettist Tobias Dettbarn, das rhythmische Korsett zu bilden. Sie taten es absolut zuverlässig und funktional.
Freilich – diese Art Musik voller Brechungen, die mit den Genres spielte, ist sehr durchkomponiert. Die üblichen lockeren Solo-Passagen gab es weniger. Dafür aber ein hoch komplexes, anregendes Konzert, das den Zuhörern erkennbar Spaß machte. Ein viel versprechender Auftakt.

Klaus Gohlke