Kritik zu Silke Eberhard Trio

Jazz ist ein Kind der Freiheit

Das Silke Eberhard Trio eröffnete das Jazzjahr 2020 der Initiative Jazz Braunschweig

Musik ist ein flüchtig Ding. Des ist man oftmals froh, mitunter aber auch nicht. Vor allem bei Jazzkonzerten. Ganz besonders schmerzlich, wenn die Musik über einen kommt wie der Sturm und in so vielfältig gebrochener Weise, wie dies das Silke Eberhard Trio am Freitagabend im Roten Saal zu Braunschweig tat.

Zum Beispiel: Nur ein Ton! Knallig, scharf, von allen zugleich. Dann Pause. Tja, wie ging es weiter? Zwei Takte oder etwas länger? War das dann ein Thema oder nur eine Art Ton-Bewegung. Hören kann so schwierig sein, wie das Spielen von Musik. Über die verwirrende Fortsetzung musikalischen Geschehens vergaß man schon den Einstieg. Waren das nun Melodien oder deren Fragmente? Oder aber Flächen?

Wie auch immer im Detail – das Trio zeigte, was es heißt, die Traditionen zu kennen und fort zu entwickeln. Es wurde natürlich nicht nur ein wenig am harmonischen Korsett gerüttelt. Nein, Jazz ist ein Kind der Freiheit. Darum ging es. Gewiss, für Freunde der sanglich-melodischen, harmonisch eingängigeren Musik war das schwere Kost. Wobei allerdings die entspannte, spielerische Haltung der Musiker doch zum Aushalten einlud. Aber – macht es nicht auch Spaß, zu erleben, wie das Trio quasi telepathische Tempo- und Taktwechsel, ein blitzschnelles Changieren zwischen verschiedenen rhythmischen Idiomen vorführte? Wie die Begleitstrukturen zerflossen, sich neu ordneten und verselbständigten, um eigene Wege zu gehen? Natürlich ist das nicht so einfach zu erkennen, besonders, weil Silke Eberhard gerade nicht zu den „Kaltblütern“ am Instrument gehört, also das Tempo, den Druck liebt.

Dabei verführen die Songtitel geradezu. „Schneekatze“, „One for Laika“, „Belka und Strelka“, „Strudel“, „Damenschrank“(!) „Schwarzwurzelwäldle“, „Ping-Pong“. Das klingt nach Programmmusik. Aber, weit gefehlt, zu glauben, „Laika“ sei ein Requiem und die Schneekatze striche irgendwo leis-tatzig durch die Gegend. Schön: „Strudel“ fängt – sofern man ans Wasser denkt – durchaus wirbelnd an. Ein Chaos. So endet es auch. Aber sogleich stellen sich die Fragen ein: Ist das Trio der Tonalität verpflichtet? Oder wird diese eher von innen heraus verändert statt zerbrochen? Die Tonskalen werden aufgrund ihres offenen Charakters flexibel ausgedeutet zwischen Bass und Saxofon hin zu einer Polymelodik. Es gibt keine vom Thema her definierte Chorusstruktur, was spontanes Reagieren auf harmonisch-rhythmische Wendungen zur Folge hat. Eine Art von Befreiung der Melodie von formalen Fesseln vertikaler Ordnungen. Allerdings: Dazwischen auch eingängige, wunderbar swingende Intermezzi. Und spielte die Klarinette nicht auf einmal tänzerisch-locker im Benny-Goodman-Sound? Mit Charles Mingus könnte man von einer „organisierten Desorganisation“ sprechen.

Was das Konzert spannend machte, war auch die absolut gleichberechtigte Kommunikation der Instrumentalisten. Natürlich ist Silke Eberhard die Chefin auf der Bühne. Wer jedoch auf welche Weise auf harmonische Wendungen der Bläsersolistin reagiert, ist freigestellt. Soloparts unterliegen keiner schematischen Verteilung. Es gibt eben keine Begleiter, nur Mitspieler. Kay Lübke am Schlagzeug beeindruckte mit einer Vielfalt an Klängen, die er mit einem relativ kleinen Schlagzeug-Besteck zu erzeugen wusste. Es ging eben nicht nur um das time-keeping. Es ging um eigene rhythmisch-klangliche Gestaltung. Um ein Grundieren, Umspielen, Erweitern, Unterlaufen, Neuordnen der musikalischen Ideen. Das traf in gleichem Maße auf Jan Roder am Kontrabass zu. Mühelos bewegte er sich über das gesamte Griffbrett. Expressive Glissandi, feine Bendings und eine ausgefeilte Dynamik zeichneten sein Spiel aus. Allerdings – wegen der Mikro-Abnahme- nicht immer gut beim Forte-Spiel herauszuhören. Sein langes Bass-Intro vor der Pause war schlichtweg eindrucksvoll.

Dass Silke Eberhard zu den versiertesten Könnern an ihren Instrumenten zählt, muss nicht herausgehoben werden. Dass sie im Sommer den Berliner Jazzpreis 2020 erhält, spricht für sich. Schön vor allem, dass die MusikerInnen aus entspannter Haltung Momente größter Intensität entwickelten, frei von Avantgarde-Attitüden. Viel Beifall für einen guten Start ins Jazzjahr 2020 mit der Initiative Jazz-Braunschweig.

Klaus Gohlke

Interview mit Silke Eberhard

Zwischen Tradition und Avantgarde

Das Silke Eberhard Trio entwickelt den modernen Jazz beharrlich weiter

Das Jahr fängt sehr gut an für Silke Eberhard, eine der renommiertesten deutschen Saxofon- und Bass-Klarinette-Spielerinnen. Nach dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ist ihr nun der Berliner Jazzpreis 2020 zuerkannt worden. Am kommenden Freitag gastiert sie in mit ihrem Trio in Braunschweig. Unser Mitarbeiter Klaus Gohlke sprach mit ihr über den kommenden Auftritt.

Mir scheint, Kontinuität ist Dir bei der Fortentwicklung deiner musikalischen Ideen sehr wichtig. Mit Deinem Trio arbeitest Du schon weit über zehn Jahre zusammen.

Kontinuität ist ja nicht das Gegenteil von Progressivität. Mein Trio ist so etwas wie eine „Working Band“, in der wir unsere musikalischen Ideen stetig weiterentwickeln. Das sind gewissermaßen
Forschungsprojekte. In dieser Gruppe spüre ich große Freiheit. Es ist meine Musik, es sind meine Improvisationen, vor allem Leute, mit denen ich gern zusammenspiele.

Deine Musik setzt sich explizit mit Eric Dolphy, Charles Mingus und Ornette Coleman auseinander. Warum sind sie Dir noch immer so wichtig?

Ihre Musik berührt mich. Heute. Ich hab von denen allen gelernt. Sie sind mein musikalisches Fundament, auf dem ich aufbaue.

Du spielst keinen Schmuse-Jazz. Was erwartet die ZuhörerInnen?

Gerne können die Menschen auch zu meiner Musik schmusen! Die Triobesetzung mit Saxophon, Bass und Schlagzeug ist gewissermaßen „klassisch“. Die fundamentalen Kategorien Melodie, Basslinie und Rhythmus sind ideal verkörpert. Dieses Format steht in einer langen Tradition im Jazz. Diese Linie führen wir weiter.

Du warst 2007 schon einmal in Braunschweig. Hat sich die Jazzwelt aus deiner Sicht seitdem verändert?

Die Frage ist sehr komplex. Zwei Hinweise vielleicht: Die gesellschaftlich virulente Debatte um Geschlechtergerechtigkeit ist auch im Jazz angekommen. Auch die Fragmentierungsprozesse, die wir gesamtgesellschaftlich erleben, sind im Jazz zu sehen und so gibt es beide Tendenzen – globale, was Rezeptionsmöglichkeiten, Kooperationen etc. betrifft, und partikulare, was z.B. Spezialisierung der Szenen und deren Narrative anbetrifft.

Deine Wahlheimat – Du bist ja gebürtige Schwäbin – ist Berlin. Ist Berlin so etwas wie die Jazzhauptstadt Deutschlands?

Berlin ist aus meiner Sicht zur Zeit die für Jazz zentrale Stadt in Deutschland, wenn nicht darüber hinaus. Die Szene ist in den letzen beiden Jahrzehnten enorm gewachsen – und zwar vor allem auch an internationalen Musikern. Das bedeutet natürlich nicht, dass Impulse ausschließlich von Berlin ausgehen. Was die Schwäbin betrifft: Nach wie vor sind mir – wahrscheinlich genetisch bedingt – gute Spätzle sehr wichtig. Ich gebe auch auf Anfrage Kässpätzle Workshops.

Das Silke Eberhard – Trio spielt am Freitag, dem 17. Januar im Roten Saal des Braunschweiger Schlosses ab 20 Uhr. Karten im Vorverkauf und an der Abendkasse.

Klaus Gohlke

Silke Eberhard Trio

Roter Saal im Schloss, Schlossplatz 1, 38100 Braunschweig

Silke Eberhard – Klarinette, Altsaxophon
Jan Roder – Bass
Kay Lübke – Schlagzeug

BeitragsbildDie Klarinettistin und Altsaxophonistin Silke Eberhard steht mit ihrem aufregenden Trio fest auf dem Fundament der modernen Jazztradition. Sie bezieht sich auf Innovatoren wie Ornette Coleman, Charles Mingus oder Eric Dolphy. Ohne das Sicherheitsnetz eines Harmonieinstrument spielt ihr Trio mit dem Bassisten Jan Roder und dem Schlagzeuger Kay Lübke hart swingenden modernen Jazz. Das Konzept der Band erinnert an das Mike Osborne Trio aus den 70er Jahren oder an das berühmte Ornette Coleman Trio der Blue-Note-Aufnahmen aus dem „Golden Circle“ in Stockholm.
Interaktion ist das Stichwort, das das Spiel der Drei kennzeichnet. Die Musiker gehen spontan auf die Ideen des jeweils anderen ein. Die originellen Kompositionen bieten dafür das Ausgangsmaterial.
Die CD des Silke Eberhard Trios „The Being Inn“ wurde 2017 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Der bekannte Jazzkritiker Bert Noglik begründete das für die Jury so:
„Das Album gleicht einer Einladung in das imaginäre Gasthaus, das sich die Berliner Altsaxophonistin und Bassklarinettistin Silke Eberhard beim Schreiben der Stücke vorstellte – ein Ort, an dem die moderne Jazztradition im Raum schwebt und im gemeinschaftlichen Spiel neu ausgeformt wird. Dabei sind die Fenster weit geöffnet, so dass sich bei allen Reminiszenzen an die Geschichte dieser Musik ein beglückendes Gefühl von Freiheit einstellt. Jan Roder am Kontrabass und Kay Lübke am Schlagzeug weben ein spannendes Beziehungsgeflecht und treten als Gesprächspartner der Bandleaderin wie auch selbst als Solisten hervor, so dass ein vielfältig ausdifferenzierter Trioklang entsteht, der sehr eigen ist und zugleich vertraut anmutet.“ Da kann man nur gespannt sein.

Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
• Online über eventim
• Abendkasse

Eintritt: Abendkasse 20 € / 18 € (ermäßigt) / 10 € (Schüler*innen & Studierende)

Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Bildrechte Silke Eberhard Trio: Silke Eberhard