Alles geht – oder auch nicht
Jens Düppe im Gespräch mit Klaus Gohlke anlässlich seines Konzertes
John Cage gilt als musikalischer Freigeist, als einer der Begründer der Neuen Musik. Hörgewohnheiten, Erwartungen zu unterlaufen, neue Kontexte zu kreieren, das ist ihm immer wieder gelungen. Teilweise spektakulär, wie in seinem Werk 4’33, einem dreisätzigen Klavierstück, bei dem kein einziger Ton gespielt wird, oder mit einem Orgelstück, das im nahen Halberstadt so langsam wie möglich gespielt wird. In gut 600 Jahren wird es beendet sein!
Nun kommt Jens Düppe mit seinem Jazz-Quartett am Freitag, dem 28. Juni in den Roten Saal nach Braunschweig und spielt bei „Dancing Beauty“ Stücke, die sich auf Cage beziehen. Was erwartet die Zuhörenden? Gibt es Grund besorgt zu sein? Das fragt unser Mitarbeiter den Jazzer vorab.
Herr Düppe, muss man damit rechnen, dass da 90 Minuten nichts anderes zu hören sein wird, als die Stille im eigenen Kopf? Oder vielleicht nur einige Töne, langsamst gespielt, wie in der Kirche St. Burchardi im nahen Halberstadt?
Lustig, dass Sie die Kirche in Halberstadt ansprechen. Für die Stiftung dort werden wir im September zu Cage Geburtstag spielen, am 5.9. Und zwar nicht nur Stücke des Quartetts. Wir werden stilistisch so unterschiedlich wie nur denkbar agieren. Und dann wird die Reihenfolge der Stücke ausgewürfelt. Das hat alles direkt mit Cage zu tun! Ja, so offen und humorvoll war er. Es gibt halt viele Zugänge zu seiner Musik und viele Ansätze, sich von der Musik ansprechen zu lassen. Die Musik von DANCING BEAUTY wurde inspiriert von Wort-Zitaten und Denkweisen von Cage, als Komponist kommt er aber nicht drin vor (würde ich jedenfalls sagen), bis auf eine besondere Stelle im Konzert. Das wird hier aber nicht verraten. Es wird ein – wenn auch stellenweise etwas besonderes – Jazzkonzert werden.
John Cage hielt nicht viel vom Jazz. Jazz müsse sich dem Publikumsgeschmack beugen. Tue er das nicht, würde er zu E-Musik werden, wäre also kein Jazz mehr. Ärgert Sie so eine Sicht der Dinge?
Nein, Cage hat sich ja über jede Art von Musik geärgert, die auf irgendeine Art musikalisch vorhersehbar war, wo man nur ahnen konnte, wo die Melodie oder der Rhythmus hingehen werden. Da scheidet dann zum Beispiel schon mal jede Musik aus, die ein festes Tempo hat; das reicht dann von Mozart über Stravinsky bis hin zu James Brown und David Bowie. Da bleibt also nicht mehr viel an Musik über, die wirklich völlig unberechenbar daherkommt. Deshalb hat er sich ja zeitlebens als Komponist damit beschäftigt, diese Unberechenbarkeit den Ausführenden seiner Kompositionen irgendwie unverbindlich vorzuschreiben und dabei spannende Modelle entdeckt.
Muss Orientierung am Publikumsgeschmack Musiker automatisch verderben?
Ich kenne keinen Künstler, der überhaupt nicht reflektiert, wie sein Schaffen beim Publikum ankommt. Es kommt letztlich auf die Grundmotivation an, die einer hat, wenn er „Kunst“ schafft. Und diese sollte sich Inhalten widmen.
Ihre Musik wird hoch geschätzt. Sie wurden mit der aktuellen CD DANCING BEAUTY zum ECHO JAZZ 2018 nominiert, erhielten in diesem Jahr sogar den WDR-Jazzpreis für Improvisation. Trotz oder wegen Cage? Anders gefragt: Wäre Ihre Musik auch ohne den Cage’schen Überbau denkbar?
Ja, auf jeden Fall kann man sich das aktuelle Album anhören, auch wenn man den Inspirationsquell John Cage nicht kennt. Cage gibt dem ganzen einfach eine weitere Ebene und hat mir beim Komponieren geholfen; nämlich sehr geradlinig zu komponieren und mir selber und meinen musikalischen Ideen wirklich treu zu bleiben. Der Bezug zu Cage hat der Musik dieses Albums Kraft gegeben.