Kritik zu Nathan Ott Quartett

Glück im Unglück
Das Nathan-Ott-Quartett bescherte zum Nikolaustag hochkarätige Jazz-Feinkost

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So erging es Nathan Ott, Jazzschlagzeuger aus Berlin, als er seine Dezembertour plante. War ja auch prima gedacht und schon mehrfach vorher Probe gelaufen. Eine kleine Supergruppe zusammengestellt mit der New Yorker Saxofonlegende Dave Liebman im Zentrum. Dafür ein interessantes Konzept der Elvin-Jones Band der frühen 70er Jahre aufgegriffen, nämlich zwei Saxofonisten ohne Harmonieinstrument gegeneinander antreten zu lassen. Und auf geht‘s, unter anderem auch nach Braunschweig in den Roten Saal.

Dann jedoch das Leben, wie es so spielt. Liebman hatte einen schweren Unfall. Spielunfähig. Was tun? Ott, hervorragend vernetzt, fand Abhilfe. Nämlich in Christof Lauer, einem der herausragenden Saxofonisten der Gegenwart, der sich flugs das Tourprogramm drauf schaffte.

Das Konzept, zwei Saxofonisten spielen zu lassen, klingt gut, ist aber nicht ungefährlich. Zum einen stehen die beiden Protagonisten im Mittelpunkt, die „Rhythmiker“ scheinen in den Hintergrund gedrängt. Zum anderen aber ist die Frage, wie die Bläser damit umgehen. Gibt es einen Showdown oder eine gleichgewichtige Kommunikation?

Lauers Partner war Sebastian Gille, Bigband-Kollege für einige Zeit. Wie würde dieser umgehen mit so einem musikalischen Schwergewicht? Höchst interessante Fragen fürs zahlreich erschienene Publikum und: gute Antworten der Musiker.

Lauer und Gille entwarfen einfühlsam Melodienbögen, gestalteten schöne Unisono-Partien, führten durchdachte, ruhige Dialoge mit allen Bandmitgliedern. Aber dann, in den Improvisationsteilen zeigte Lauer seine ganze Kraft und Spielfreude. Er folgte gewissermaßen seiner inneren Natur mit nahezu ekstatischen Arpeggien, die wie Klangflächen erschienen, einer Tour de Force die Skalen hoch und runter, Überblaseffekten, Intervallsprüngen. Hoch konzentriert, trotzdem locker und ohne technizistische Effekthascherei. Und Gille? Stand dem in nichts nach, fand seinen eigenen Zugriff und Ton. Wozu sicherlich auch der Charakter der Kompositionen beitrug, in der Mehrzahl von Ott geschrieben.

Und die „Rhythmiker“, waren sie die armen, im Dunkel Stehenden? Mitnichten. Jonas Westergaard am Kontrabass leistete Schwerstarbeit. Er hatte auf der harmonischen wie auf der rhythmischen Ebene zu gestalten und zog mit Schlagzeuger Ott gewissermaßen die Streben für die Bläsergebäude ein. In den Up-Tempo-Parts erhöhte er repetitiv den Druck und gestaltete das rhythmische Konzept farbiger. Ott seinerseits ließ nicht den Bandleader raushängen. Ja, er schuf Raum und nutzte sein Instrument bei der Schlägelarbeit geradezu melodiös. Und ein Drumsolo ohne Muskelspiel als Ausklang eines Stückes – selten zu hören.

Insgesamt beschritten die vier Musiker musikalische Wege, die zwischen großer Offenheit und Gebundenheit, zwischen Abstraktion und feiner Melodiosität verliefen. Metrisch komplex mit beeindruckender Polyrhythmik, ja, mitunter mal weniger harmonisch durchorganisiert, als von der Rhythmik und der Expressivität zusammen gehalten. Vielleicht nicht immer leichte Arbeit beim Zuhören, aber zu Recht viel Beifall.

Klaus Gohlke