Ein Mann mit höchsten Ansprüchen oder
Mehr geht nicht!
Hans-Jürgen Niemann, die graue Eminenz des Braunschweiger Jazz, tritt ab
Er ist ein Strippenzieher. Einer, der im Hintergrund die Fäden spinnt. Der seit 25 Jahren dafür sorgt, dass in Braunschweig hochkarätige Jazzmusik zu Gehör gebracht wird. Und für Jazzmusiker im In- und Ausland Braunschweig eine Top-Adresse ist. Die Rede ist von Hans-Jürgen Niemann.
Wir treffen uns im Gebäude der Städtischen Musikschule Braunschweig. Dort ist er seit langem schon Klavierlehrer. Etwas retro schaut er aus mit seiner John-Lennon-Brille und dem schulterlangen, gelockten Haupthaar. Der Weg führt in seinen Unterrichtsraum, zwei Wände sind behängt mit Plakaten von Musikereignissen, für deren Zustandekommen er verantwortlich war.
„Naja, ich nicht alleine, das waren alle in der damaligen Musikerinitiative Braunschweig.“ Eine typische Äußerung des jetzt 62-jährigen. Er ist nicht der Mann, der in der ersten Reihe stehen will.
Sein Job ist das „Booking“, die Verpflichtung von Musikern. Das klingt einfach, ist aber reichlich komplex. „Man muss ja gute Musiker finden, die auch zum Publikumsgeschmack passen. Die Kostenfrage stellt sich sofort. Findet man Sponsoren, weil der Eintritt die Kosten nicht abdeckt? Du musst die Verträge mit den Leuten oder ihren Agenturen abschließen. Wie kommen die Künstler nach Braunschweig, wo übernachten sie? Wie sieht es mit dem Auftrittsort aus? Wer betreut sie vor Ort? Welche Anforderungen stellen sie bezüglich der Instrumente, der Technik? Also, da hat man schon sein Tun!“
Der Blick auf die Plakatwand macht Staunen. Eine Art Who’s who? des Jazz. John McLaughlin, Betty Carter, Archie Shepp, Charles Lloyd, Joachim Kühn, Carla Bley, Elvin Jones , um wirklich nur ein paar Namen zu nennen. Jürgen Niemann hat einen stattlichen Ordner hervorgeholt und schwelgt in Erinnerungen.
„Angefangen habe ich eigentlich mit dem Jazzspektrum 1990 nach der deutsch-deutschen Vereinigung. Fünf Formationen aus der DDR haben wir im Städtischen Museum und vor der Magnikirche aufspielen lassen. Es war eine heiße Sache. War ja nicht wie heute mit Internet, Handy, E-Mail, Facebook. Briefe per Einschreiben mit Rückschein und andere längst vergessene Verkehrsformen waren angesagt.“
Gibt es rückblickend so etwas wie Highlights? „Lebenslang begleiten wird mich Diana Kralls Auftritt auf dem Burgplatz und die ganzen Umstände. Sie war schon ein Star, aber keine Allüren. Drei Tage blieb sie in Braunschweig, war hier schwer am Shoppen. Dass hier kein Gedöhns gemacht wurde, hat ihr ungemein gefallen.“
Und Tiefpunkte? „Nein, eigentlich nicht. Nur Aufreger. Wenn ein Bass nicht aufzutreiben ist. Oder die Hotelbuchung aufgekündigt wird. Ein großer Büfett-Bahnhof ins Leere läuft, weil der Künstler zu erschöpft ist und nur schlafen will.“
Niemann blättert weiter in seinen Dokumenten. Er war auch sonst recht rege. Mitbegründer von „Radio Okerwelle“, der „Braunschweiger Kulturnacht“ – ein Tanz auf einigen Hochzeiten. Immer mit sehr hohem Anspruch, was freilich zu Frustrationen führte. „Ich wollte immer ein möglichst breites musikalisches Spektrum abdecken. Das war nicht leicht durchzusetzen.“
Alles wäre nicht so gelaufen, wie es gelaufen ist, wäre da nicht die Unterstützung seitens des Kulturamtes der Stadt Braunschweig gewesen, der zahlreichen Sponsoren, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Helfer und Ermutiger. „Das war ungemein wichtig. Aber – ob eigentlich klar geworden ist, welchen Stellenwert Braunschweig in der internationalen Jazzszene spielt, dass wir eine Topadresse sind in Deutschland, da bin ich mir nicht so sicher.“ Schade eigentlich.
Jürgen Niemann hat das kulturelle Leben dieser Stadt entscheidend mitgeprägt. So ein Job schlaucht. Es muss mal Schluss sein. Wie es nun weiter geht? Die Initiative Jazz-Braunschweig ist am Improvisieren. Wer will so eine Aufgabe ehrenamtlich fortführen? Das hängt auch davon ab, wie die Stadt, die Sponsoren, die Jazz-Interessierten mitziehen. Braunschweig hat hier einen Ruf zu verlieren, was man ja nicht wollen kann.
Klaus Gohlke