Interview mit Eva Klesse

Konzentrieren wir uns doch auf die Musik
Geschlechtergerechtigkeit ist für die Hannoveraner Bandleaderin, Schlagzeugerin und Jazzprofessorin Eva Klesse ein wichtiges Thema

Eva Klesse spielt am Freitag, 14. Februar 2020 im Roten Saal Braunschweig mit ihrem Quartett Modern Jazz. Sie war 2018 die erste Jazz-Instrumentalprofessorin und lehrt an der Hochschule für Musik in Hannover. Klaus Gohlke sprach mit ihr über die Genderthematik im Jazz.

Frau Klesse, in Deutschland gibt es zwei Instrumentalprofessorinnen für Jazz. Sie sind eine davon. Was ist das Besondere daran im Vergleich zu anderen Lehrenden im Studiengang Jazz?

E.K.: Ich denke, das Besondere ist, dass es immer noch als etwas Besonderes angesehen wird (obwohl wir denken, dass wir – was Gleichstellung in unserer Gesellschaft angeht – angeblich schon „so wahnsinnig weit“ sind und obwohl gerade wir im Jazz, der als progressive Musik angesehen wird, eigentlich Vorreiter sein müssen für gesellschaftliche Prozesse, oder?). Für meine tägliche Arbeit und den Umgang mit meinen Studierenden spielt die Tatsache, dass ich eine Frau bin, keine große Rolle. Das Besondere ist das politische Signal, das von der Berufung von 2 Frauen für diese Stellen ausgeht, die ersten im Jahr 2018,  obwohl es Jazz-Ausbildung an Hochschulen schon seit Jahrzehnten gibt. Ich erhoffe mir einen Aufbruch und mehr Diversität unter Studierenden und Lehrenden an Hochschulen, in der Jazzausbildung und überall.

Wolfram Knauer überschreibt ein Kapitel in seiner gerade erschienenen Geschichte des deutschen Jazz: Jazz wird diverser, weiblicher, queerer. Frauen tauchen also auf im Zusammenhang mit Verschiedenartigkeit, mit Normabweichung, wenn man Lexikondefinitionen folgen will.  Auch wenn Knauer das nicht so meint, aber Weiblichkeit im Jazz als Abweichung:  eine zutreffende Beschreibung?

E.K.: Ich finde das Buch von Wolfram Knauer sehr lesenswert und bin froh, dass auch er dieses wichtige Thema aufgreift. Jazz wird diverser, weiblicher, queerer – das ist/wäre doch ganz wunderbar! Klar waren Frauen bisher in der Jazzwelt/-geschichte die Abweichung von der Norm, aber Wolfram Knauer spricht in seinem Buch ja genau diesen nun stattfindenden und längst fälligen Wandel an: die Szene öffnet sich (und muss sich auch öffnen!), mehr und verschiedenere Menschen finden Platz, Raum und Gehör.

Finden Sie das Tempo im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit im Bereich Jazz nunmehr ermutigend oder eher erschreckend?

E.K.: Natürlich dauert das alles lange und manchmal kommt das Gefühl auf, als müsste man wieder neu für Dinge kämpfen, die doch eigentlich schon mal common sense waren. Aber: ich finde es ermutigend, dass gerade ein Wandel stattfindet: gesamtgesellschaftlich und in der Jazzwelt. Und freue mich über alle Kolleginnen und Kollegen, die diesen Weg mitgehen. Erschreckend finde ich den gleichzeitig stattfindenden Backlash, rechts-nationale, rassistische und damit einhergehend auch sexistische und anti-feministische Tendenzen.

Warum ist das mit der Geschlechtergerechtigkeit im Jazz so schwierig?

E.K.: Ich denke, die Gründe für das Geschlechterverhältnis im Jazz sind vielfältig, ebenso wie die Ansätze, um dieses zu verändern. Meine große Hoffnung ist, dass dieses Thema für nachfolgende Generationen irgendwann keine Rolle mehr spielt, ehrlich gesagt, sondern alle ihren Talenten und Neigungen nachgehen können, und sich dabei nicht nach irgendwelchen Gender-Konventionen/ veralteten Rollenbilder richten müssen – Männer wie Frauen! Feminismus und das Streben nach Gleichberechtigung/Gleichstellung sind für alle da!

In Ihrer Band sind  Sie die Chefin. Ihre Bandkollegen sind alles Männer. Müssten Sie da nicht gegensteuern, etwa mit reinen Frauenbands (vgl. Marilyn Mazurs „Shamania“).

E.K.: In meiner Band bin ich die Orga-Chefin. Musikalisch wir sind wir ein Kollektiv. Und: ich muss gottseidank gar nix 🙂 Ich finde ja, es sollte alles geben dürfen: Männerbands, Frauenbands, gemischte Bands, diverse Bands. Vielleicht könnte man einfach aufhören, bei „Frauenbands“ immer wieder darauf hinzuweisen, dass es Frauenbands sind. Oder, alternativ: wir sprechen ab jetzt auch immer von Männerbands, wenn wir von rein männlich besetzen Ensembles sprechen. Dann müssten wir aber alle je erschienenen Jazz-Bücher und die gesamte Jazzgeschichte umschreiben. Bisher gab es nämlich ja so gut wie ausschließlich nur Männer-Bands. Reine Männer-Bands, reine Männer-Festivals. Vielleicht wurden die alle ja nur wegen ihres Geschlechts ausgesucht?? 🙂 Sie sehen, manchmal hilft es, sich mal alles umgekehrt vorzustellen, dann wird einem die Absurdität bewusst.
Vielleicht lassen wir diesen ganzen Quatsch aber auch einfach mal und konzentrieren uns auf das, worum es uns ja eigentlich geht: die Musik!

Welche „Jazz-Role-Models“ gab/gibt es für Sie?

E.K.: Viele. Meine Lehrer waren oft role models für mich, weil ich auch so tolle hatte. Heinrich Köbberling war und ist für mich ein Vorbild zum Beispiel, als Lehrer, Mensch und Musiker. Julia Hülsmann war und ist eine ungemein wichtige Mentorin für mich. Brian Blade verehre ich als Schlagzeuger. Daneben aber genau so Joni Mitchell und noch ganz viele andere. Ausserdem alle, die sich  – sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in unserer Szene – für Gleichstellung und Gerechtigkeit einsetzen. Eine wilde Mischung also.

Interview mit Silke Eberhard

Zwischen Tradition und Avantgarde

Das Silke Eberhard Trio entwickelt den modernen Jazz beharrlich weiter

Das Jahr fängt sehr gut an für Silke Eberhard, eine der renommiertesten deutschen Saxofon- und Bass-Klarinette-Spielerinnen. Nach dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ist ihr nun der Berliner Jazzpreis 2020 zuerkannt worden. Am kommenden Freitag gastiert sie in mit ihrem Trio in Braunschweig. Unser Mitarbeiter Klaus Gohlke sprach mit ihr über den kommenden Auftritt.

Mir scheint, Kontinuität ist Dir bei der Fortentwicklung deiner musikalischen Ideen sehr wichtig. Mit Deinem Trio arbeitest Du schon weit über zehn Jahre zusammen.

Kontinuität ist ja nicht das Gegenteil von Progressivität. Mein Trio ist so etwas wie eine „Working Band“, in der wir unsere musikalischen Ideen stetig weiterentwickeln. Das sind gewissermaßen
Forschungsprojekte. In dieser Gruppe spüre ich große Freiheit. Es ist meine Musik, es sind meine Improvisationen, vor allem Leute, mit denen ich gern zusammenspiele.

Deine Musik setzt sich explizit mit Eric Dolphy, Charles Mingus und Ornette Coleman auseinander. Warum sind sie Dir noch immer so wichtig?

Ihre Musik berührt mich. Heute. Ich hab von denen allen gelernt. Sie sind mein musikalisches Fundament, auf dem ich aufbaue.

Du spielst keinen Schmuse-Jazz. Was erwartet die ZuhörerInnen?

Gerne können die Menschen auch zu meiner Musik schmusen! Die Triobesetzung mit Saxophon, Bass und Schlagzeug ist gewissermaßen „klassisch“. Die fundamentalen Kategorien Melodie, Basslinie und Rhythmus sind ideal verkörpert. Dieses Format steht in einer langen Tradition im Jazz. Diese Linie führen wir weiter.

Du warst 2007 schon einmal in Braunschweig. Hat sich die Jazzwelt aus deiner Sicht seitdem verändert?

Die Frage ist sehr komplex. Zwei Hinweise vielleicht: Die gesellschaftlich virulente Debatte um Geschlechtergerechtigkeit ist auch im Jazz angekommen. Auch die Fragmentierungsprozesse, die wir gesamtgesellschaftlich erleben, sind im Jazz zu sehen und so gibt es beide Tendenzen – globale, was Rezeptionsmöglichkeiten, Kooperationen etc. betrifft, und partikulare, was z.B. Spezialisierung der Szenen und deren Narrative anbetrifft.

Deine Wahlheimat – Du bist ja gebürtige Schwäbin – ist Berlin. Ist Berlin so etwas wie die Jazzhauptstadt Deutschlands?

Berlin ist aus meiner Sicht zur Zeit die für Jazz zentrale Stadt in Deutschland, wenn nicht darüber hinaus. Die Szene ist in den letzen beiden Jahrzehnten enorm gewachsen – und zwar vor allem auch an internationalen Musikern. Das bedeutet natürlich nicht, dass Impulse ausschließlich von Berlin ausgehen. Was die Schwäbin betrifft: Nach wie vor sind mir – wahrscheinlich genetisch bedingt – gute Spätzle sehr wichtig. Ich gebe auch auf Anfrage Kässpätzle Workshops.

Das Silke Eberhard – Trio spielt am Freitag, dem 17. Januar im Roten Saal des Braunschweiger Schlosses ab 20 Uhr. Karten im Vorverkauf und an der Abendkasse.

Klaus Gohlke

Interview mit Jens Düppe

Alles geht – oder auch nicht
Jens Düppe im Gespräch mit Klaus Gohlke anlässlich seines Konzertes

John Cage gilt als musikalischer Freigeist, als einer der Begründer der Neuen Musik. Hörgewohnheiten, Erwartungen zu unterlaufen, neue  Kontexte zu kreieren, das ist ihm immer wieder gelungen. Teilweise spektakulär, wie in seinem Werk 4’33, einem dreisätzigen Klavierstück, bei dem kein einziger Ton gespielt wird, oder mit einem Orgelstück, das im nahen Halberstadt so langsam wie möglich gespielt wird. In gut 600 Jahren wird es beendet sein! 
Nun kommt Jens Düppe mit seinem Jazz-Quartett am Freitag, dem 28. Juni in den Roten Saal nach Braunschweig und spielt bei „Dancing Beauty“ Stücke, die sich auf Cage beziehen. Was erwartet die Zuhörenden? Gibt es Grund besorgt zu sein? Das fragt unser Mitarbeiter den Jazzer vorab.

Herr Düppe, muss man damit rechnen, dass da 90 Minuten nichts anderes zu hören sein wird, als die Stille im eigenen Kopf? Oder vielleicht nur einige Töne, langsamst gespielt, wie in der Kirche St. Burchardi im nahen Halberstadt?

Lustig, dass Sie die Kirche in Halberstadt ansprechen. Für die Stiftung dort werden wir im September zu Cage Geburtstag spielen, am 5.9. Und zwar nicht nur Stücke des Quartetts. Wir werden stilistisch so unterschiedlich wie nur denkbar agieren. Und dann wird die Reihenfolge der Stücke ausgewürfelt. Das hat alles direkt mit Cage zu tun! Ja, so offen und humorvoll war er. Es gibt halt viele Zugänge zu seiner Musik und viele Ansätze, sich von der Musik ansprechen zu lassen. Die Musik von DANCING BEAUTY wurde inspiriert von Wort-Zitaten und Denkweisen von Cage, als Komponist kommt er aber nicht drin vor (würde ich jedenfalls sagen), bis auf eine besondere Stelle im Konzert. Das wird hier aber nicht verraten. Es wird ein – wenn auch stellenweise etwas besonderes – Jazzkonzert werden.

John Cage hielt nicht viel vom Jazz. Jazz müsse sich dem Publikumsgeschmack beugen. Tue er das nicht, würde er zu E-Musik werden, wäre also kein Jazz mehr. Ärgert Sie so eine Sicht der Dinge?

Nein, Cage hat sich ja über jede Art von Musik geärgert, die auf irgendeine Art musikalisch vorhersehbar war, wo man nur ahnen konnte, wo die Melodie oder der Rhythmus hingehen werden. Da scheidet dann zum Beispiel schon mal jede Musik aus, die ein festes Tempo hat; das reicht dann von Mozart über Stravinsky bis hin zu James Brown und David Bowie. Da bleibt also nicht mehr viel an Musik über, die wirklich völlig unberechenbar daherkommt. Deshalb hat er sich ja zeitlebens als Komponist damit beschäftigt, diese Unberechenbarkeit den Ausführenden seiner Kompositionen irgendwie unverbindlich vorzuschreiben und dabei spannende Modelle entdeckt.

Muss Orientierung am Publikumsgeschmack Musiker automatisch verderben?

Ich kenne keinen Künstler, der überhaupt nicht reflektiert, wie sein Schaffen beim Publikum ankommt. Es kommt letztlich auf die Grundmotivation an, die einer hat, wenn er „Kunst“ schafft. Und diese sollte sich Inhalten widmen.

Ihre Musik wird hoch geschätzt. Sie wurden mit der aktuellen CD DANCING BEAUTY zum ECHO JAZZ 2018 nominiert, erhielten in diesem Jahr sogar den WDR-Jazzpreis für Improvisation. Trotz oder wegen Cage? Anders gefragt: Wäre Ihre Musik auch ohne den Cage’schen Überbau denkbar?

Ja, auf jeden Fall kann man sich das aktuelle Album anhören, auch wenn man den Inspirationsquell John Cage nicht kennt. Cage gibt dem ganzen einfach eine weitere Ebene und hat mir beim Komponieren geholfen; nämlich sehr geradlinig zu komponieren und mir selber und meinen musikalischen Ideen wirklich treu zu bleiben. Der Bezug zu Cage hat der Musik dieses Albums Kraft gegeben.

Interview mit Daniel Erdmann

Ludwig XIV., de Gaulle und Napoléon jazzen

Das Trio „Das Kapital“ des Ex-Braunschweiger Saxofonisten Daniel Erdmann präsentiert seine neue CD „Vive La France!“

„Das Kapital“ nennt sich das renommierte Jazz-Trio um den Ex-Braunschweiger Saxofonisten Daniel Erdmann. „Das Kapital“? Welches? Marxens Opus Magnum oder was? Das Trio stellt demnächst im Braunschweiger LOT seine neue Produktion vor. Titel: „Vive la France!“. Weshalb? Was steckt dahinter? Klaus Gohlke beseitigt im Gespräch mit Erdmann alle Unklarheiten.

Die neue CD von „Das Kapital“ heißt „Vive la France!“ Dabei posiert das Trio auf dem Cover-Foto verkleidet als Ludwig XIV., Napoléon und Charles de Gaulle. Ist das eine politische Aussage?

Wir sind drei europäische Musiker, die in Frankreich leben, es ist eine Hommage an die Musik unseres Heimatlandes. Wir verpacken das ganze aber auf unsere Weise, etwas provokant, sicher aber eher lustig gemeint.

Die Musik scheint ein Gang durch die französische Musikgeschichte zu sein, vom 16.Jh.bis zur Gegenwart. Warum diese Art Wanderung durch die Jahrhunderte? Und – wie sind Sie auf diese Auswahl gekommen?

Wir wollten wirklich die volle Bandbreite zeigen und ein abwechslungsreiches Programm präsentieren. Jeder von uns hat Vorschläge eingebracht, und wir haben dann die Stücke aufgenommen, mit denen alle einverstanden waren.

Sie spielen ja Instrumentalmusik. Bei den Chanson-und Pop-Referenzen fehlt somit der Text. Geht damit nicht Entscheidendes bei den Interpretationen verloren?

Ich finde, dass der Sinn der Texte oft sehr stark musikalisch umgesetzt ist, und wir haben versucht, das noch mehr herauszuarbeiten.

„Das Kapital“ ist ein Jazz-Trio. Wie kommt der Jazz in diese Kompositionen?

Wir spielen eigentlich die Melodien ziemlich genau wie im Original, allerdings mit den Stilmitteln des Jazz. Aber wir versuchen, dem Original gerecht zu werden. Das Trio hat auch eine eigene Art zu spielen entwickelt, etwas zwischen den Stilen, eine akustische Musik ohne Grenzen.

Können Sie kurz die französische Jazzszene charakterisieren? Gibt es signifikante Unterschiede zu Deutschland?

Meiner Meinung nach gibt es in Frankreich verschiedene Jazzszenen, die sich jetzt langsam anfangen zu mischen. Ich denke, das Leben als Musiker ist in Frankreich etwas anders, weil das System anders funktioniert. Kurz gesagt, ist man dort generell als Künstler mehr in staatliche Systeme eingebunden.

Geboren sind Sie in Wolfsburg. Haben Sie noch einen Bezug zu dieser Region?

Ich bin ja in Braunschweig aufgewachsen. Ich habe hier keine Familie mehr, aber kürzlich war ich für einen Tag zu Besuch in der Stadt und habe Orte der Vergangenheit besucht. Das war sehr schön, denn mir ist da aufgefallen, dass ich in einer tollen Stadt aufgewachsen bin. Der Tag begann im Heidberg, wo ich in der Raabeschule war, und endete bei Bolle in der Bassgeige. Also freue ich mich umso mehr auf das Konzert in der alten Heimat!

Klaus Gohlke

Interview mit Angelika Niescier

Diversität bereichert den Jazz

Das Gleichstellungsproblem im Jazz aus der Sicht der engagierten Saxofonistin Angelika Niescier

Jazz sei nicht tot, meinte Frank Zappa einst, er röche nur komisch. Wenn man auch nur oberflächlich schaut, wer denn den Ton in diesem Genre angibt, dem kann es schon gewaltig stinken. Eine Männerdomäne nach wie vor. Symposien, Panels, Podiumsdiskussionen beschreiben das Gleichstellungsproblem detailliert. Was aber ist praktisch zu tun? Fragen wir dazu Angelika Niescier, renommierte Jazz-Saxofonistin und in Sachen Gleichstellung engagiert, die demnächst auch in Braunschweig mit ihrem italienischen Trio auftritt.

Frau Niescier, die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, sagte in Bezug auf die Genderdebatte: „Wenn sich die Kultur als die Avantgarde der Gesellschaft verstehen möchte, müsste sie auch in diesem Punkt voranschreiten!“

Abgesehen von der Frage: „Was ist eigentlich Avantgarde?“, muss ich dazu bemerken: Wenn es ein Grundzug dieser Gesellschaft ist, dass Mann und Frau in vielen Bereichen nicht gleichgestellt sind, wieso soll das gerade in der Kunst, beim Jazz anders sein? Jazz ist Teil dieser Gesellschaft, insofern spiegelt er auch deren Probleme wider.

Wenn bei 24 in Braunschweig beobachteten Jazzkonzerten 75 Männer und nur 6 Frauen auftraten, kann ich Ihnen nur zustimmen.

Das Ganze ist jetzt zum Glück wieder im Fluss. Zurzeit beschäftigen sich auch Musiker*innen intensiv mit dem Thema und versuchen die Strukturen zu verändern.

Es gibt bei Veranstaltern Überlegungen zur Einführung von Quoten.

Die Debatte um Quote ist nötig, um auf die Schieflage in der Präsentation aufmerksam zu machen. Es bleibt aber ein Werkzeug. Viel wichtiger ist es, das Mindset weiterzuentwickeln und endlich zu kapieren, dass Diversität, in welchem Bereich auch immer, bereichert. Die Durchführung ist dann die einfachere Aufgabe.

Was kann das denn praktisch heißen für die Konzertveranstalter vor Ort?

Der Veranstalter hat dafür zu sorgen, unterschiedlichen Stimmen, die am musikalischen Diskurs beteiligt sind, Gehör zu verschaffen. Das bedeutet im Einzelnen, die eigenen stereotypen Entscheidungsgewohnheiten zu hinterfragen; sich umzuhören, den Horizont zu erweitern. Je mehr Veranstalter*innen und Musiker*innen sich an diesem Diskurs beteiligen, desto diverser wird das Bild der Musik. Das hat natürlich einen Rückkoppelungseffekt auf die Gesellschaft.

Können Veranstalter von ihrer Seite her Hilfen erhalten?

Ja, wir sind dabei, Netzwerke aufzubauen. Wichtig ist vor allem, dass Frauen auf der Bühne stehen. Dass sie sichtbar sind. Außerdem: Warum werden wir Frauen eigentlich immer zu diesem Thema befragt und nicht bzw. kaum die Männer? Ich will darüber reden, welche Art von Musik ich hier mit meinem Trio spielen werde. Welche Einflüsse sie widerspiegelt, wie Diversität sich in ihr ausdrückt und entwickelt. Nicht darüber, welches Geschlecht, welche Hautfarbe und dergleichen eine Rolle spielt.

Interview: Klaus Gohlke

Interview mit Lucia Cadotsch

Songs meines Lebens
Lucia Cadotsch im Gespräch mit Klaus Gohlke

Wäre sie Teil der Popwelt, dann hieße man sie vielleicht „Star“. Glänzende Kritiken, Echo-Trägerin, Top-Ranking in den Fach-Charts, internationale Auftritte. Und dann im kommenden Januar in der Elbphilharmonie, aber vorher, am kommenden Freitag, im Braunschweiger Schloss!
Lucia Cadotsch, in Berlin lebende Schweizerin, aber singt Jazz, nicht Pop. Es verbieten sich also Fragen danach, wie es sich denn so lebt als internationaler Star. Da fragt man besser Anderes.

Irgendjemand nannte dich „die neue Hoffnung des Jazz“. Wie beurteilst du so eine Äußerung?

Wie soll ich das beurteilen, das liest man doch jede Woche über einen Künstler!

Auf deinem Album „Speak Low“ stammen 6 von 10 Songs von der legendären Billie Holiday. Kann man da von einem Billie-Holiday-Tribute sprechen ?

Billie Holiday war eine große Inspiration für mich als Sängerin. Deshalb tauchen ihre Songs natürlich in meinem Song-Book auf. Aber auch die Interpretationen von Nina Simone waren für unsere Arrangements eine wichtige Quelle. Sowie Ahmad Jamal, Kurt Weill, Henry Mancini, …

Große Namen, große Songs. Hattest du nicht Angst zu scheitern?

Ehrlich gesagt, ist mir erst bewusst geworden, dass das Album eine Track-Liste mit fast ausschließlich berühmten Songs trägt, als ich das Albumcover gestaltet habe. Bei der Auswahl des Repertoires ging es mir nicht darum berühmte Songs zu interpretieren, sondern Songs, die mich über Jahre begleitet haben und in verschiedenen Phasen meines Lebens zu mir sprachen, Songs die nach 50 – 100 Jahren immer noch aktuell sind. Aus irgendeinem Grund sind sie ja berühmt geworden…

Du wirst von einem Saxofonisten und einem Bassisten begleitet. Kein Harmonieinstrument, kein Schlagzeug. Warum gerade diese Besetzung?

Ich habe lange nach einem Weg gesucht, diese Songs, die mir sehr am Herzen liegen in einer Form zu interpretieren, die die Tradition zitiert und zeitgemäß ist. Auf dieser Suche bin ich auf Petter Eldh und Otis Sandsjö gestoßen. Wir haben uns vom ersten gemeinsamen Ton an verstanden. „Don’t Explain“ war der erste Song, den wir gespielt haben und alles war klar, es ging sofort eine gemeinsame Reise los, ohne Worte haben wir verstanden, wohin es gemeinsam gehen soll. Vielmehr als um die besondere und selten gehörte Instrumentierung geht es auch um unsere drei Charaktere, die zusammengetroffen sind und eine Energie freigesetzt haben.

Was ist das Spezifische an Otis Begleitung, was an Petter’s Spiel?

Sie klingen wie niemand anderes, kreative Spieler, die stets nach neuen Wegen suchen.

Wie bist du auf die Arrangements gekommen?

Wir haben sie zu dritt gemeinsam im Proberaum und direkt an unseren jeweiligen Instrumenten entwickelt. Das macht diese Arbeit für mich einzigartig, die Musik würde komplett anders klingen würde, wäre es eine andere Formation, bzw. andere Musiker. Wir haben uns die Arrangements quasi auf den Leib geschnitten. Außerdem sind die Arrangements voller versteckter Zitate aus unterschiedlichen Aufnahmen, die wir zu einem neuen Mosaik zusammengebaut haben.

Wie geht es weiter mit dem Trio? Reizt der Erfolg mit „Speak Low“ zur Fortsetzung des Konzepts?

Wir haben in den letzten drei Jahren sehr viele Konzerte im Trio und mit Gastmusikern wie Kit Downes, Julian Sartorius, Lucy Railton spielen können. Auf diesen Reisen konnten wir unsere Arbeit verfeinern und unser Repertoire laufend erweitert. Im Februar 2019 werden wir ins Studio gehen, um ein neues Album aufzunehmen.

Bist du jetzt etabliert als Sängerin, stehen dir Tür und Tor offen?

Die Reise geht kontinuierlich weiter, wer weiß wohin. Manche Türen gehen auf, andere zu. Es gibt keine Sicherheit in diesem Beruf.

Ankündigung zu “Jochen Rückert Quartett”

New York: Jazz-Mekka mit Rostflecken

Der deutsch-amerikanische Schlagzeuger Jochen Rückert spricht vor seinem Konzert in Braunschweig über die Bedeutung New Yorks für Jazzmusiker

New York – wer’s hier schafft, schafft es überall, singt Frank Sinatra. Der Platz zum Durchstarten. Jazzmusiker glauben immer noch daran. Wer etwas auf sich hält, geht mindestens einmal für ein Weilchen in die „Welthauptstadt des Jazz“ (Jazzpages). Und wer den Ritterschlag dort erhalten hat, d.h. mit möglichst mehreren der Großjazzer der Stadt gespielt hat, der lässt das werbewirksam durchblicken in seinen Selbstdarstellungen. Manche gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Sie verlassen ihr Heimatland und bleiben dort.

So zum Beispiel der Kölner Jazz-Schlagzeuger Jochen Rückert (43), einer der Herausragenden seiner Zunft. Rückert spielt mit seinem Quartett demnächst in Braunschweig. Er ist amerikanischer Staatsbürger mittlerweile. Befragt nach den Gründen, Deutschland zu verlassen und dort zu bleiben, nimmt er kein Blatt vor den Mund.

„Als ich um die 19 Jahre alt war, brachte mir Deutschland musikalisch gesehen nichts mehr. Ich wollte richtigen Jazz spielen und internationaler unterwegs sein. Ich wollte Anregungen von vielen Leuten erhalten, nicht nur von wenigen. Du triffst – und das gilt immer noch – in New York viel mehr sehr unterschiedliche Musiker aus aller Herren Länder. Der Treffpunkt schlechthin!“

Nun, das war vor vielen Jahren. Mittlerweile hat die Globalisierung auch den Jazz erfasst. Hat New York jetzt nicht sein Alleinstellungsmerkmal verloren? Rückert sieht zwar keinen grundsätzlichen Wandel, räumt aber durchaus Veränderungen ein.

“Es hat sich was getan. Klar. Das traditionelle Jazzspiel ist in Deutschland besser geworden. Auch wird der europäische Jazz immer interessanter. Aber du triffst in N.Y. nicht doppelt so viele, sondern 50mal so viele gleichgesinnte Musiker. Und du kannst in den kleinen Clubs und bei Sessions unheimlich viel lernen und Anregungen bekommen. Und zwar täglich. Niveau und Dichte machen N.Y. aus.“

Das klingt gut. Durchaus. Aber eine derartige Dichte guter Musiker bedeutet ja doch auch, dass man sehen muss, wie man da an Jobs kommt. Der Club-Betrieb lahmt auch in N.Y. Und kommen die Musiker aus den Staaten nicht deshalb so gern nach Europa und eben Deutschland, ja, ziehen von dort hierher, weil hier die Auftrittsbedingungen sehr attraktiv sind? Gute Gagen, gute Rahmenbedingungen, ein aufmerksames Publikum.

Rückert räumt ein, dass es schwierig ist, als Berufs-Musiker auszukommen. Auch in N.Y. “Ich kann mich aber nicht beschweren. Ich verdiene genug Geld, ich arbeite allerdings auch wie bescheuert. Nicht nur als Musiker, auch als Lehrer, Booking Agent, Reisebüro für Musiker, Gitarristen-Kindermädchen. Ich publiziere Schlagzeug-Unterrichtsmaterial. Es ist leider auch so, dass das Wohnen schwierig geworden ist. Brooklyn ist so teuer mittlerweile, dass alle entweder weiter raus oder nach Queens, Washington Heights oder in die Bronx ziehen müssen.“

Also, doch vielleicht mal wieder mit Deutschland als Lebenszentrum liebäugeln? „Fuck no!“, kommt es spontan. Und dann erläuternd: „Ich bin verheiratet, hab einen Sohn, eine Wohnung, fühle mich zuhause. Meine Frau spricht nicht deutsch. Außerdem: Ich mache Touren durch Europa, wie jetzt gerade, auch arbeite ich fürs Goethe-Institut. Also guter Draht nach Europa. Ansonsten gibt es hier in N.Y. eine starke „musical immigree community“, d.h. viele musikalische Immigranten mit einem starken Gemeinschaftsgefühl.“

Ein Zurück nach Deutschland ist also kein Thema. Es gibt für Jochen Rückert Wichtigeres, nämlich die Musik. „Ich brauche Musik wie die Luft zum Atmen. In ihr finde ich eine spirituelle Befriedigung. Ist aber kompliziert. Jazz war mal gleichbedeutend mit Grenzüberschreitung. Aber es gibt immer weniger Grenzen. Alle sind schon überquert. Mir fallen jedenfalls im Moment keine unüberschrittenen Grenzen ein. Das ist aber kein Drama. Das, was Jazz ist oder sein kann, ist derart umfangreich, so dass viel zu tun ist. Und wenn du dann ein Publikum mit offenen Ohren hast, entsteht ein wunderbarer Energiefluss. Darum geht es!“

So ein Publikum wird der Meister sicherlich erleben.

Klaus Gohlke

Interview mit David Helbock

Keine Angst vor großen Klassikern

David Helbocks „Random/Control“ interpretiert Jazz-Piano-Hits neu

Das österreichische Jazztrio „Random/Control“ des Pianisten David Helbock kennt keine Berührungsängste. Volksmusik, Latin, Bebop – alles kann ins Jazz-Idiom überführt werden. Bei ihrem Auftritt am 22. September 2018 im Roten Saal in Braunschweig geht es diesmal multiinstrumental um Jazz-Piano-Klassiker. Klaus Gohlke mailte mit dem Bandleader über seine Bearbeitung von Standards.

Das Konzert ist „Tour d’Horizon „ überschrieben? Was ist damit gemeint?

Es geht um einen Überblick über meinen musikalischen Horizont. So habe ich Kompositionen von jenen Jazzpianisten und Jazzpianistinnen, die mich bis jetzt am meisten geprägt haben, genommen und für diese ganz spezielle Besetzung arrangiert.

Die Jazzfreunde könnten denken oder argwöhnen, dass ihr da einfach nur ein paar Greatest Hits covert. Warum soll man sich diese Klassiker von euch anhören, statt dem Original zu lauschen?

Diese Band „Random/Control“ gibt es mittlerweile seit über 10 Jahren und wir haben in den letzten Jahren einen ganz eigenständigen Bandsound entwickelt. Es ist zwar ein Trio, aber Andreas Broger spielt alle möglichen Holzblasinstrumente von diversen Saxophonen und Klarinetten bis hin zu Flöten und Johannes Bär ist ebenso ein Multiinstrumentalist auf Blechblasinstrumenten vom Alphorn bis hin zur Trompete oder zum Sousaphon. Dadurch sind aber auch für mich als Arrangeur fast unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten denkbar und es entsteht ein ganz eigener Bandsound. Meiner Meinung nach ist dieser Bandsound so was Einzigartiges, dass es fast egal ist, was wir als Ausgangsmaterial nehmen.
Aber schlussendlich klingt es immer nach dieser Band, nach Random/Control.

„Sentimental Mood“ von Ellington, „Watermelon Man“ von Hancock, „My Song“ von Jarrett – hattest du nicht Angst oder Bedenken, dich an solche Klassiker ran zu wagen?

Natürlich hatte ich Bedenken. Mit einem „normalen“ Klaviertrio hätte ich das nie gemacht. Aber mit dieser speziellen Band ist es meiner Meinung nach möglich, auch diese Klassiker, die schon viel zu oft gespielt wurden, von einer neuen Seite zu präsentieren. Ich denke sogar, dass es fürs Publikum sehr spannend ist, alte und bekannte Melodien in so einer neuen und spannenden Besetzung wieder zu entdecken. Auch habe ich als Arrangeur versucht, die Essenz der Stücke zu bewahren, aber doch einen sehr eigenen Weg zu finden, sie zu interpretieren und das fiel mir mit den vielen Kombinationsmöglichkeiten von unterschiedlichen Instrumenten sehr leicht.

Wenn ich eure Instrumentensammlung ansehe, die während des Konzertes zum Einsatz kommt, habe ich den Eindruck, dass das nicht immer sehr ernst zugeht. Täuscht das? Wenn nicht, warum ist dir das wichtig, dem Jazz Humor einzupflanzen?

Es ist sicher wichtig, dass ich bzw. wir auf der Bühne Spaß haben. Sonst könnte ich nicht über 100 Konzerte mit dieser Band spielen. Es ist aber keinesfalls reiner Witz oder Akrobatik, nur um viele Instrumente einzusetzen, sondern das sollte auch musikalisch natürlich Sinn machen. Mir gefällt das Wort „Spielfreude“ besser als Humor. Und ja, es ist mir wichtig, dass wir uns auch gegenseitig immer wieder überraschen, jemand auch mal ein anderes Instrument in die Hand nimmt, als an dieser Stelle ausgemacht und die anderen zwei dadurch wieder darauf reagieren müssen und so jeden Abend doch etwas Neues entsteht.

Interview mit Philipp Gropper

Über Lust und Last, avantgardistischen Jazz zu spielen

Das Jazztrio „Gropper/Graupe/Lillinger“ versucht, das Vokabular des Jazz zu erweitern. Dabei überschreitet es mancherlei Grenzen. Klaus Gohlke sprach mit dem Saxofonisten der Gruppe, Philipp Gropper, über die Absichten und Schwierigkeiten, zur Jazz-Avantgarde gezählt zu werden.

Herr Gropper, man zählt Ihr Trio zur Jazz-Avantgarde. Können Sie mit dieser Bezeichnung leben?

In Ermangelung eines besseren Ausdrucks: Ja. Das ist ja alles relativ. Wir sind Suchende, Forschende mit je eigenen musikalischen Wurzeln.

Könnte man Ihr Trio auch als eine Band bezeichnen, die sog. Neue Musik spielt. Z.B. bewusst auf so etwas wie Thema, Ausführung eines musikalischen Gedankens verzichtet?

Wir kommen vom Jazz. Aber es gibt da gewiss Überschneidungen. Die Grenzen verschwimmen. Unsere Musik ist teilweise präzise notiert, dann wieder frei. Was uns interessiert, das ist die Klangsprache. Sound im weitesten Sinne. Wir spielen nicht einfach Bebop-Linien nach. Oder formulieren ein Thema, über das dann jeder improvisiert. Natürlich gibt es auch Harmonieschemata, Akkorde als Grundlage für Improvisationen. Traditioneller Jazz ist für uns Ausgangspunkt, wie auch Neue Musik, elektronische Musik, Hip Hop usw. Überall findet man Inspiration; abstrahiert, überträgt ins „Jetzt“ und formuliert neu. Die Geschichte des Jazz ist die Geschichte einer ständigen Erneuerung.

Heißt das, dass das Zuhören schwieriger wird, insofern ihre Musik weder eingängig, noch gefällig, noch konventionell sein will?

Das hängt zum einen von den musikalischen Erfahrungen des Publikums ab. Andererseits wollen wir unsere Tonsprache klar rüberbringen. Es ist nicht unsere Absicht, alle zu schocken und vor den Kopf zu stoßen. Vielmehr sollen die Strukturen unserer Kompositionen erkennbar sein. Wir suchen nach   Klängen, Sounds, die uns selbst faszinieren. Wir haben durchaus den Wunsch, dass man das nachvollziehen kann und davon berührt wird. Wir wollen also mit den Zuhörern diese Faszination teilen. Mainstream allerdings liefern wir nicht.

Wie reagiert das Publikum auf ihre Grenzerweiterungen?

Oft heißt es: „So etwas haben wir noch gar nicht gehört. Das ist schwer einzuordnen. Aber trotzdem toll!“ Es gibt auch Leute, die einfach rausgehen, weil ihre Erwartungen, wie ein Jazzkonzert ablaufen soll, nicht erfüllt werden. Mal sind wir wie Aliens, mal völlig akzeptiert. Aber die Leute bemerken unsere Ernsthaftigkeit und Intensität in der Auseinandersetzung mit der musikalischen Materie. Es geht uns aber nicht darum, dem Publikum zu gefallen. Es geht uns um die Realisierung unserer musikalischen Überzeugungen.

Ihr Schlagzeuger Christian Lillinger sagte unlängst, dass der Gegenwartsjazz sich zwischen Langeweile und Terror bewege. Wie sehen Sie das?

Nun, ich kenne den Kontext nicht. Aus meiner Sicht ist Vieles eher an Eingängigkeit orientiert, will nicht fordern. Man setzt also auf Wiedererkennbarkeit. Oder eben auf plakativ Spektakuläres, dem oft wirklicher musikalischer Gehalt und tiefe fehlen. Und dann gibt es noch diese Hype-Schiene in den Medien. Es gibt urplötzlich irgendwo irgendjemanden, der den Jazz wiederbelebt, ihm den angeblichen Modergeruch nimmt. Man sieht so etwas auch bei den Festival-Acts. Es wird vorsichtig gebucht.

Denken Sie z.B. an die Aufregung um Kamasi Washington? Da weiß ich ja auch nicht, was das Revolutionäre sein soll.

Ja, sehe ich auch so. Aber mir gefällt die Energie, mit der sie spielen, das nahezu Hippiehafte des Auftretens. Das Problem, das ich sehe, ist, dass das Innovative ein anderes Hören verlangt.

Sie meinen statt des genussorientierten Hörens ein eher strukturiertes Nachvollziehen?

Das Innovative verlangt eine andere Offenheit, ein Loslassen von Erwartungen. Es findet den Weg in die Öffentlichkeit nicht so leicht,  lässt sich nicht so gut verkaufen und bleibt daher oft im Untergrund. Dennoch gilt für uns: Wir spielen, was für uns wichtig und spannend ist. Es heißt ja oft, man soll das Publikum abholen. Das kann aber nicht bedeuten, dass man sich anpasst. Wir holen es – wie gesagt – ab, um mit ihm zusammen neues Gelände zu betreten.

Sie sagten vorhin, sie wollten improvisierte Musik machen, nicht Bebop-Linien spielen. Eine Absage an Traditionen?

Nein, überhaupt nicht. Ich komme selbst von Charlie Parker her. Wir haben früher alle Standards gespielt. Aber: Bebop war revolutionär in den 40er/50er Jahren. Jetzt nicht mehr. Er ist Geschichte. Die Musik ist immer noch gut und lebt weiter. Aber die musikalische Entwicklung ist weiter gegangen. Ob das Drum ’n‘ Bass ist oder Hip-Hop oder Modern Creative, Electronica. Was sich in der Rhythmik, der Instrumentierung, der Tongestaltung, den musikalischen Strukturen alles getan hat, das kann man doch nicht ignorieren. Die Erneuerung ist die Essenz des Jazz, ist seine Tradition.

Sind Sie mit Ihrem Jazz „einsame“ Musiker?

Nein, absolut nicht. Außerdem spielen wir in verschiedenen Projekten. Wer da in unsere Konzerte kommt, das hängt viel von den Auftrittsorten ab. Der Jazz hat, anders als der Pop, ein Vermittlungsproblem. Dabei gibt es keine Musik, die derart gegenwärtig beim Spielen ist, derart in der Lage ist, auf Aktuelles zu reagieren, wie der Jazz! Das ist doch hochgradig spannend, wer da was macht und warum. Improvisation, das ist etwas Spontanes, aus dem Inneren Kommendes. Aber das hat gleichzeitig einen verinnerlichten intellektuellen Unterbau. Das ist ja nichts, was man da einfach so hinhaut. Wir spielen seit 15 Jahren zusammen. D.h. in unserer Musik, unserem Interplay steckt eine jahrzehntelange auch intellektuelle Auseinandersetzung. Wenn wir dann auftreten, dann denke ich natürlich nicht über alles nach. Da laufen oft lang eingeschliffene Automatismen ab zusammen mit plötzlichen Wendungen ins Unerwartete, wo du spontan reagieren musst.

Kein Thema für die Medien?

Wenig. Aber vielleicht müssen wir auch selbstkritisch unsere Aktivitäten überprüfen.

Sie sagten, Sie setzten sich auch mit den Möglichkeiten Ihres Instrumentes auseinander, dem Saxofon. Knüpfen Sie am späten Coltrane an, dem das Instrument nicht mehr ausreichte, das, was ihn bewegte, auszudrücken?

Das Saxofon hat das Problem, dass man es z.B. schnell mit dem Genre Blues zusammendenkt. Wenn du etwas tief in dir ausdrücken willst, dann kann das Instrument dir Grenzen setzen, dich fehl leiten. Diese Grenzen zu erkennen und nach Wegen der Überwindung zu suchen, ist eine große Aufgabe. Das gilt wohl für jeden Instrumentalisten in unserem Trio.

Klaus Gohlke

Interview mit Arild Andersen

Feine Klangsprache, famose Energie
Ein Interview mit dem norwegischen Bassisten Arild Andersen

Gute Nachrichten für die Braunschweiger Jazzfreunde! Nach Dave Holland im letzten Jahr kommt wiederum ein herausragender Jazzbassist ins Braunschweiger LOT-Theater: der Norweger Arild Andersen mit seinem Trio. Klaus Gohlke telefonierte mit dem in Oslo lebenden Bassisten.

Arild, du bist jetzt einundsiebzig Jahre alt. Immer noch die große Lust auf Tour zu gehen?

Ja, durchaus. Konzerte spielen ist etwas Unersetzbares im Leben. Nur die Flughafen-Checkerei nervt immer mehr, zumal mit dem dicken Instrument.

Warum spielst du nicht den handlicheren E-Bass?

Ich hab das ja auch eine Zeitlang gemacht. Aber dann hörte ich Jaco Pastorius (einer der einflussreichsten E-Bassisten, der das Bass-Spiel musikalisch revolutionierte. K.G.). Seine Technik auf dem Instrument war überwältigend, unerreichbar. Also konzentrierte ich mich auf den Kontrabass. Jacos musikalisches Verständnis aber, was die Rolle des Basses im Zusammenspiel betrifft, sein melodisches Verständnis, das teile ich voll und ganz.

Du hast mit den ganz Großen des US-amerikanischen Jazz zusammengespielt. Du wolltest aber nicht wie etwa Dave Holland in New York bleiben.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Jazzmusizieren. In Amerika ist die Band in der Regel um einen Star, der der Boss ist, geschart. Top-Down. Ich habe ja gelernt bei den Großen des amerikanischen Jazz: Sonny Rollins, Dexter Gordon, Chick Corea. Wenn du mit Dexter auf der Bühne standest, rief er plötzlich mitten im Song: „Next „Cherokee“ und dann musstest du das drauf haben, keine Absprache vorher, er war der Boss. Der europäische Jazz zeichnet sich durch ein demokratischeres, gleichberechtigteres Zusammenspiel aus. Es ist ein gemeinsames Herausarbeiten musikalischer Ideen, die eine klangliche Identität einer Band entstehen lässt. Die Basis des amerikanischen Jazz ist der Blues. Hier in Europa spielen darüber hinaus immer mehr eigene musikalische Traditionen eine Rolle, aber auch die zeitgenössische Kunstmusik.

Bei norwegischem Jazz denken viele Jazzfreunde an einen speziellen skandinavischen Sound: Klare, kühle Töne, die Landschaftsbilder evozieren, sehr melodiös.

Du meinst diesen spacigen Sound mit viel Reverb, also den Jan Garbarek-Klang der 70er Jahre? Das war eine Zeitlang sehr angesagt. Damit habe ich es nicht so sehr. Ich knüpfe an am traditionellen Jazz. Aber ich bin beeinflusst sowohl von der schönen Schlichtheit der norwegischen Folklore, wie ich auch zurückgreife auf die Abstraktionen zeitgenössischer Neuer Musik. Ich habe ja auch spirituelle Musik geschrieben und Film-und Theatermusiken.

Wenn du auf deine Jazzgeschichte blickst: gibt es da einschneidende Veränderungen?

Durchaus. Zwei zentrale Einschnitte sehe ich. Miles Davis‘ Album „Bitches Brew“ war der Bruch schlechthin. Weg von aller Swing-Ästhetik. Dafür elektrischer Jazz-Rock. Rhythmisch völlig anders gedacht, eine eigenartige Offenheit. Die andere zentrale Veränderung ist die jetzt gängige Verwendung ungerader Rhythmen. Das gab es auch schon früher, etwa bei Brubeck. Aber jetzt sind die komplexen Rhythmen nahezu üblich. Mich interessiert das nicht so sehr.

Wo warst du eigentlich musikalisch als junger Mann, damals als es z.B. die Stones- und Beatles-Debatten bei den Fans gab?

Beatles? Wunderbare Melodien. Und die Rolling Stones habe ich auch im Konzert kennengelernt. Aber erst viel später. Was Gitarrenmusik angeht, so fand ich Charlie Christian stark. Ansonsten Miles Davis, Herbie Hancock. Den Bassisten Gary Peacock oder Stan Getz am Saxofon. Ich war also etwas anders orientiert als die meisten Jugendlichen damals.

Was können wir dann bei deinem Konzert in Braunschweig erwarten?

Eine sehr abwechslungsreiche, durchaus auch melodische Musik. Eine feine Klangsprache, famose Energie und ab und an Herzschmerz.

Klaus Gohlke

Interview mit Jakob Bro

Eine Jazz-Super-Group gastiert am 23. April im Braunschweiger LOT. Der dänische Ausnahme-Gitarrist Jakob Bro hat eine der heißesten Rhythmusgruppen um sich geschart: Thomas Morgan am Bass und Joey Baron am Schlagzeug spielen alles und überall auf der Welt. Was die Braunschweiger Jazzfans erwartet, erkundete unser Mitarbeiter Klaus Gohlke im Telefon – Interview mit dem Kopenhagener Musiker.

Jakob, ihr habt beim Edel-Label ECM zwei CDs eingespielt. Ihr tourt erfolgreich durch die Welt. Was fasziniert die Leute an eurer Musik?

Das sind zwei Dinge, die miteinander zusammen hängen. Zum einen schreibe ich gern kleine, einfache Melodien. Einfach heißt nicht oberflächlich und banal. Mir liegt daran, dass die Zuhörer sich in den Melodien zurecht- und wiederfinden können. Andererseits meint einfach, dass meine beiden Mitspieler Raum genug finden, auf vielfältigste Weise kreativ mit diesen Melodien umzugehen. Es geht also um Offenheit.

Mir scheint, dass deine Musik aber auch große Zeithorizonte eröffnet. Entschleunigst du die Musik absichtlich?

Das ist kein Programm. Aber es stimmt schon. Klänge und Stimmungen brauchen Zeit, sich entfalten zu können. Sowohl wir als Musiker, aber genauso die Zuhörer müssen Zeit haben, den entstehenden Eindrücken nachgehen zu können. Das widerspricht durchaus dem Zeitgeist, der von Hektik geprägt ist.

Könnte man dich als Ton-Maler bezeichnen, als musikalischen Impressionisten?

Ja, das ist ein schönes Bild. Aber ich bin das nicht im strengen Sinne des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ich liebe schon tonale und rhythmische Offenheit. Es geht mir um Klangfarben, die wir erzeugen und variieren können. Um vielfältige musikalische Einflüsse. Aber immer orientiert an Melodien.

Die Jazzliebhaber sagen oftmals über deine Musik: „Ja, sehr schön. Aber ist das Jazz?“

Ich denke über so etwas nicht nach. Mein Vater brachte mir die Bigband-Musik nahe. Ich selbst war beeindruckt vor allem von Trompetern und Saxofonisten. Armstrong, später Tomasz Stanko, Jan Garbarek. Die Rhythmiker inspirierten mich. Ich höre Klassik, Rock. Eben gute Musik. Ich liebe Kreativität, Spannung und Aufregendes. Es gibt keine Vorgaben, stattdessen einen freien Ansatz. Das ist für mich Jazz. Die Schublade interessiert mich nicht.

Ihr habt im April/ Mai 18 Konzerte in 18 Tagen. die finden in England, Deutschland, Ungarn, Dänemark, Österreich und der Schweiz statt. Einer Woche später fliegt ihr nach Japan. Wie stehst du das durch?

Das geht nur mit so wunderbaren Musikern, wie es Joey und Thomas sind. Und mit einem einfühlsamen Publikum, wie wir es immer wieder erleben. Ich denke, das wird auch in Braunschweig so sein.

Das Jakob-Bro-Trio spielt am 23. April 2017 im LOT-Theater Braunschweig, Kaffeetwete 4a um 20 Uhr. Vorkauf an den üblichen Vorverkaufsstellen und über Eventim im Internet. Abendkasse: 25/22/10 Euro.

Interview mit Peter Brötzmann

„Was heißt Krawall?!“

Die Free Jazz – Legende Peter Brötzmann kommt nach Braunschweig

Einen dicken Fisch hat der Braunschweiger Galerist Hans Gerd Hahn da für seine Veranstaltungsreihe „Freies Improvisieren“ an Land gezogen. Dicker geht es gar nicht! Der Saxofonist Peter Brötzmann, der Übervater des Free Jazz, wird zusammen mit Wolfgang Schmidtke, auch ein Holzbläser, am Samstag, dem 11. Juni im Braunschweiger Lindenhof ein Gastspiel geben. Er ist das Enfant terrible des Jazz. Für die einen ein Jazz-Punk, für die anderen die Verkörperung der Avantgarde. An ihm scheiden sich die Geister. Ein kantiger Typ mit klarer Ansprache. Unser Mitarbeiter Klaus Gohlke befragte ihn zu den Hintergründen und der Einordnung seiner Musik.

Sie gelten als der Regelverletzer in der Musik schlechthin, als der Vater des Free-Jazz. Einverstanden?

Solche Zuschreibungen gefallen mir überhaupt nicht. Ich war das ja nicht allein. Da waren noch Gunter Hampel, Peter Kowald, Alex Schlippenbach usw. Allein geht das gar nicht. Man nennt das Free-Jazz, man braucht eben eine Bezeichnung.

Warum waren Sie so auf Krawall gebürstet?

Was heißt Krawall? In den früher 60er Jahren hatte ich mein Kunststudium fertig. Ich assistierte bei dem wunderbaren koreanischen Künstler Nam Jun Paik, später bekannt für seine Videoinstallationen. Der sagte zu mir: „Du kannst alle Materialien für deine Kunst benutzen. Du musst eine Idee haben, das umsetzen wollen!“ Ich hatte keinen Nerv mehr für formale Regeln in der Musik. Akkordfortschreibungen, Skalen, Melodien und dieses ganze Zeugs. Ich wollte mich nicht länger unterwerfen, ich wollte mich in und mit der Musik ausdrücken, Fragen provozieren.

Aber die Reaktionen? Sie spalten doch das Publikum?

Die einen sagten, wir wären Scharlatane. Für andere war es ein Aus-, ein Aufbruch. Aber Deutschland war schon immer etwas schwierig. In Polen, Holland, Schweden, England, den USA, Japan, auch Afrika war man interessiert. 90 Prozent meiner Auftritte finden im Ausland statt. Die sind toleranter. Die wollen nicht immer dasselbe hören, vor allem: die hören zu und kommen nicht mit Hörschablonen.

Sie gelten immer noch als Jazz-Avantgardist.

Ja, das ist doch paradox. Ich bin 75 und Avantgardist. Das müssten doch die 25-Jährigen von heute sein! Es gibt eine Reihe guter Virtuosen, viele gut ausgebildete Musiker, aber eigentlich zu wenig gute Musik. Die fragen sich, wie sie groß rauskommen können. Ich muss doch aber erst einmal wissen, wer ich bin, was mir die Musik bedeutet.

Sie wirken im Konzert oftmals wie ein Kessel unter Hochdruck. Die Musik bricht aus Ihnen hochenergetisch heraus. Denken Sie beim Spielen noch?

Nein. Denken stört nur. Es muss fließen. Ich mag die körperliche Seite meines Spielens, die intensive Kommunikation mit meinen Mitspielern. Nach dem Spielen bist du fix und fertig, der Kopf ist leer. Aber – wenn es zum intensiven Austausch kommt – dann hat sich das alles gelohnt.

Was wünschen Sie sich für das Braunschweiger Konzert?

Dass die Leute sich herausreißen, verstören, begeistern lassen wollen. Kurz. Ein schönes Konzert.

Peter Brötzmann/ Wolfgang Schmidtke spielen am 11.6. 2016 ab 20 Uhr im Theatersaal des Lindenhofs in Braunschweig. Eintritt Abendkasse 15 Euro.

» zum Konzert

Interview mit Dave Holland

Englishman in New York: Starbassist Dave Holland im Interview

Außergewöhnliches erwartet die Braunschweiger Jazzfreunde: Der 69jährige Ex-Miles-Davis-Bassist Dave Holland, zweifelsfrei einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Bassisten der Welt, wird am Sonntag, dem 13. März 2016 im Braunschweiger LOT-Theater mit seinem aktuellen Trio gastieren. Aus diesem Anlass sprach Klaus Gohlke vorab telefonisch mit dem in New York lebenden Jazzmusiker.

Hi, Dave, im Frühling gehst du auf Europa-Tour. Was treibt dich?

Ich hatte in der letzten Zeit verschiedene Projekte hier laufen. Darunter das Trio mit Kevin Eubanks an der Gitarre und mit Obed Calvaire am Schlagzeug. Wir spielten in Russland, und das war so eine gute Zusammenarbeit, dass ich gern wieder mit ihnen arbeiten wollte. Die Reiseumstände sind natürlich eine Herausforderung. Das Fahren, Gepäckprobleme, die Hotels – aber wenn man dann ein Publikum begeistern kann, dann ist das alles nachrangig.

Was ist das Besondere an diesem Gitarren-Trio? Ist es eine Erinnerung an “Gateway”, dein erstes berühmtes-Trio mit Jack DeJohnette und John Abercrombie Mitte der 70er Jahre?

Nein, es ist kein Blick zurück, kein Revival. Die Musiker und die Musik damals, das war alles einzigartig. Aber wir haben andere Zeiten, und Kevin und Calvaire sind wiederum ganz eigenständige Musiker mit ihren sehr spezifischen musikalischen Vorstellungen und Fähigkeiten. Das Interessante am Trio ist ja die besondere Intensität des musikalischen Gesprächs. Und dann gefällt mir der Sound von Gitarre und Bass im Zusammenspiel. Dazu muss ich noch sagen, dass Kevin Eubanks einen ganz eigenen Klang auf seinem Instrument gefunden hat, was ja nicht einfach ist. Und Calvaire ist ein außergewöhnlich feinfühliger Rhythmiker.

Dave, du spieltest 1968 im Alter von gerade mal 20 Jahren im berühmten Londoner Jazzclub, dem Ronnie Scott’s. Da saß Miles Davis und engagierte dich vom Fleck weg. Mit einem Male warst du Teil seiner Supergroup u.a. mit Herbie Hancock, Tony Williams, Keith Jarrett, Chick Corea. War das das Größte in deinem Leben?

Es war eine riesige Sache, und die Zusammenarbeit war außerordentlich bedeutsam für mich. Aber – man kann das Leben nicht auf eine Sache reduzieren. Es waren zwei Jahre. Viele wunderbare Musiker und Konzerterlebnisse erlebte ich seitdem. Man entwickelt sich ja weiter.

Du spielst den großen akustischen Bass. Warum nicht den leichter zu handhabenden E-Bass?

Oh, ich spiele auch Bass-Gitarre. Ich hab den Bass nicht wegen seiner Größe und seines Gewichts ausgewählt (lacht). Nein. Ich habe, als ich 15 Jahre alt war, den Oscar Peterson-Bassisten Ray Brown gehört. Der Klang, den er auf diesem Instrument erzeugte, hat mich umgeworfen. Es war unglaublich. Liebe auf den ersten Blick oder aufs erste Hören. Auch Leroi Vinnegar war so ein Klangzauberer. Es ist der Klang dieses Instruments, der mich begeistert. Also Platz 1: Akustik-Bass, Platz 2: Bass-Gitarre, Platz 3: Cello.

Du spielst nun schon lange Jazz. Siehst du eine Entwicklung des Jazz, eine bestimmte Richtung?

Es gibt eine Menge Richtungen, nicht die eine. Es herrscht eine Art Individualisierung vor. Traditionen werden neu interpretiert. Man expandiert in andere Musik-Kulturen und –in andere Traditionen hinein. Eine Art Inklusion. Die Sprache der Musik hat sich ungemein erweitert. Wenn ich bei meiner Lehrtätigkeit sehe, welche Möglichkeiten die StudentInnen über die neuen Medien haben, sich Stile, Material, Techniken anzueignen, kann ich nur staunen. Es ist enorm, was sie alles in kurzer Zeit aufnehmen können. Es gab Zeiten, da waren bestimmte Stile dominant. Heutzutage aber nicht. Man hat dadurch viel Raum für Experimente und Annäherungen, für Erweiterungen der Ausdrucksmöglichkeiten Ich selbst habe mich mit Flamenco-Musik befasst, mit nordafrikanischen Oud-Spielern gearbeitet, mit Zakir Hussain, dem indischen Tabla-Virtuosen, gespielt. Dieses Cross-Over ist eine sehr schöne Sache.

Dave, du bist Jahrgang 1946, in England, Wolverhampton aufgewachsen. Hat dich damals nicht auch die populäre Musik mittschiffs getroffen?

Ja, klar. Ich hörte amerikanische und englische Pop-Musik. Bill Haley, Little Richard, diese ganzen Rock’n’Roller. Auch Ray Charles, Motown. Da hab ich auch in Bands vor Ort mit gespielt. Aber dann kamen – wie gesagt – Ray Brown, Leroi Vinnegar, Charles Mingus und der Jazz.

Du bist seit langen ein “Englishman in New York”. Du kennst den Sting-Song. Aber als „legal alien“ (legaler Einwanderer, Fremdling) fühlst du dich nicht?

(Lacht) Nein, absolut nicht. Ich wollte schon immer nach New York wegen der Musikszene hier. Hier sind auch meine Familie, meine Enkel. Ich wohne außerhalb der Stadt, dem Mid Hudson Valley. Eine wunderbare Gegend. Aber – ich freue mich auf Braunschweig, wir sehen uns hoffentlich.
Das Dave Holland Trio gastiert am Sonntag, dem 13. März 20 Uhr im LOT-Theater in Braunschweig. Karten im üblichen Vorverkauf und Online bzw. an der Abendkasse: www.lot-theater.de

Interview mit Jürgen Friedrich

Neustart mit Elementarteilchen
Der Jazz-Pianist Jürgen Friedrich über die Hintergründe seines Braunschweiger Auftritts in Doppelbesetzung

Jürgen Friedrich, Pianist, Komponist, Dirigent und Hochschullehrer in Köln und Mannheim für Jazz, Improvisation und zeitgenössische Musik, sowie bekennender Gr. Schwülperaner, wird am kommenden Freitag im Lindenhof Braunschweig mit seiner aktuellen Band ein Konzert geben. Klaus Gohlke sprach mit dem 45-jährigen.

Jürgen, nach längerer Zeit mal wieder ein Konzert in Braunschweig. Vorfreude?

Na klar. Ich hoffe der Saal im Lindenhof wird voll.

Du gibst gewissermaßen ein Doppelkonzert. Du trittst mit dem Trio „Reboot“ und als Duo „Nano Brothers“ auf. Sehr ungewöhnlich!

Das ist auch einmalig, nur für Braunschweig. Die Initiative Jazz Braunschweig wusste, dass beide Projekte derzeit laufen und fragte an, ob man nicht beides verbinden könne. Deshalb also.

„Reboot“ – das ist ja Computersprache und meint „Neustart“ oder „Wieder hochfahren“. Inwiefern startest du neu?

Ich habe vorher an einem sehr komplexen Projekt gearbeitet. „Monosuite“, eine Komposition für ein 22köpfiges Streichorchester und ein Jazzquintett. Danach brauchte ich Urlaub. Der Beginn dann wieder in kleiner überschaubarer Besetzung, das fühlte sich an wie ein Neustart, wiedergewonnene Freiheit.

Und wieso Nano Brothers?

Das ist ja ein Piano-/ Saxofon-Duo. Wir spielen ausschließlich improvisierte Musik, teilweise ganz frei. Und die Ideen, die wir beim Spielen entwickeln, setzen sich aus kleinsten Elementen zusammen, Nano-Teilchen.

In der Konzertankündigung wird eure Musik charakterisiert als „alter Blues, zeitgenössische Musik, fast Pop, freie Harmoniewelt“. Das klingt nach Sammelsurium. Für jeden etwas.

Absolut nicht, keine Mixtur und keine Anbiederung. Es ist nur so, dass alle im Trio eine bestimmte musikalische Geschichte haben. Und wenn du improvisierst, kommen ja die Ideen nicht aus dem luftleeren Raum, sondern aus deinen musikalischen Erfahrungen. Das wollen wir auch nicht leugnen, sondern ehrliche Musik machen. Wir wollen in unserer Musik authentisch sein und nicht etwas vorspiegeln.

Deshalb auch ein Rückgriff auf Arnold Schönberg und Witold Lutoslawski auf eurer CD?

Genau. Ich habe einen starken klassischen Background. Und der ist für einen Jazzmusiker die wahre Freude. Das ist wie ein Reich gefüllter Obstkorb: heiße Taktarten, tolle Intervallsprache. Eine Inspirationsquelle. Ich trenne nicht zwischen Jazz und E-Musik. Mir geht es um Musik, die Menschen interessieren und gefallen kann.

Jürgen Friedrich: Reboot/Nano Brothers. Jazzkonzert. Freitag, 26. 06.2015 20 Uhr. Lindenhof Braunschweig, Kasernenstraße.

Interview mit Heinz Sauer & Daniel Erdmann

Vierer mit zwei Steuermännern
Das Heinz Sauer/Daniel Erdmann Quartett spielt am kommenden Freitag im Braunschweiger Lindenhof modernen Jazz

Eine seltsame Konstellation: 82 Jahre alt ist Heinz Sauer, eine Tenorsaxofon-Legende; Daniel Erdmann, ein Braunschweiger Gewächs, das sich in die erste Liga des Jazz gespielt hat, mit seinen 41 Jahren genau halb so alt. Wie geht das zusammen und warum? Das, aber auch Fragen nach der gegenwärtigen Situation der Jazzmusik, erkundete unser Mitarbeiter Klaus Gohlke im Gespräch mit den beiden Musikern.

Herr Sauer, Sie sind 82 Jahre alt. Warum dann noch Tour-Stress?

Das ist ja keine Tour, sondern mal hier und da ein Konzert. Soll ich mich in den Sessel setzen und auf den Tod warten? Das ist nicht mein Ding.

Sie spielen gern mit sehr viel jüngeren Musikern zusammen.

Ja, das ist einfach interessanter. Jazz, das ist Improvisation. Bei älteren Musikern besteht die Gefahr, dass sie nicht mehr improvisieren, sondern eher schematisch Gewohntes runterspielen. Immer die gleichen Phrasen. Bei Daniel Erdmann jetzt oder auch beim Pianisten Michael Wollny, da weiß man nie, was im nächsten Moment kommt. Das ist aufregend spontan.

Herr Erdmann, Sie sind in Wolfsburg geboren…

Ja, schon, meine jazzmusikalischen Wurzeln befinden sich aber in Braunschweig. Bei George Bishop habe ich Saxofonspielen gelernt. Es gab im Städtischen Museum tolle Jazzkonzerte, auch bei Otto Wolters habe ich mitgespielt. Braunschweig war ja eine kleine Jazz-Hochburg. Nils Wogram, Jürgen Friedrich, die Groß-Schwülperer, waren kurz vor mir am Wirken.

Sie spielen mit Heinz Sauer zusammen? Was ist das Besondere? So etwas wie ein Showdown? Oder eher Unterstützung eines älteren Kollegen?

Um Himmels willen, weder noch. Heinz – das ist die absolute Klarheit beim Spielen, aber zugleich auch Poesie. Er sucht den perfekten Klang. Es gibt bei ihm keine Beliebigkeit, jeder Ton ist wichtig. Er ist ehrlich im Spiel, nie geschwätzig. Das macht unheimlich Spaß.

Aber zwei Tenorsaxofonisten in der Band, kein Harmonieinstrument – ist das nicht etwas eigenartig?

Ja, schon, wenngleich nicht völlig neu. Der Bassist übernimmt teilweise den Harmoniepart. Er spielt oft gestrichen oder mit Doppelgriffen. Aber nicht nur. Auch die Saxofone können die Harmoniker sein.

Herr Sauer, wie sehen Sie das Tenorsax-Doppel?

Naja, ich liebe ja das Zusammenspiel mit einem Klavier, das dann die Harmonien legt. Aber so etwas wie jetzt, das ist sehr inspirierend, das hab ich ja auch mit Albert Mangelsdorff gemacht. Posaune und Sax. Der Reiz zweier Saxofone besteht ja auch darin, zwei unterschiedliche Spielkulturen zu erleben. Zwischen Daniel Erdmann und mir gibt es Übereinstimmungen, aber vom Spiel her auch große Differenzen. Das liefert Spannung.

Unlängst sagte ein Kritiker polemisch, es gebe ein Überangebot an Jazzmusikern, ähnlich wie bei Nagelstudios.

Da ist was dran. Was oft fehlt, ist eine Aussage. Jazz ist eine Musik des Protestes, eine Musik der Freiheit. Darin ist sie auch politisch. Die Nazis hassten Jazz. Es geht darum, die Seele rauszuspielen. Das fehlt im Kommerz der Gegenwart zu oft.

Herr Erdmann, viele junge Jazzmusiker verlassen die Hochschulen. Zu viele?

Na ja. Das Problem ist: sie spielen richtig. Mehr aber auch nicht. Ein Instrument lernen, ist ja nichts Außergewöhnliches. Es muss dann aber etwas hinzukommen. Eine außergewöhnliche Kreativität; die Fähigkeit, magische Momente im Spielen zu evozieren. Technik allein ist steril.

Was wünschen sie beide sich für das Konzert am Freitagabend?

Dass es viele dieser tollen Momente gibt im Zusammenspiel zwischen uns Musikern und dem Empfinden des Publikums. Einen gelungenen Austausch ohne Worte.

BZ-Text vom 16.5.2015

Interview mit Joris Dudli (Soul Jazz Factor)

Musik für Bauch und Seele
„Soul Jazz Factor“ spielt am kommenden Sonntag modernen Jazz im Braunschweiger LOT-Theater

Mit der Gruppe „Soul Jazz Factor“ kommt wieder einmal eine hochkarätige internationale Jazzformation nach Braunschweig. Sie tritt am Sonntag, dem 22.März um 20 Uhr im LOT-Theater auf. Unser Mitarbeiter Klaus Gohlke telefonierte vorab mit ihrem Chef-Komponisten, dem schweizerisch-österreichischen Schlagzeuger Joris Dudli, in seinem Wohnort Wien.

Herr Dudli, was haben wir zu erwarten? Soul oder Jazz oder ein undurchsichtiges Gebräu?

Um das gleich klar zu machen: Wir sind allesamt Jazzer. Unser gemeinsamer Hintergrund ist der Hard-Bop. Wir kopieren doch nicht Wilson Pickett oder James Brown. Soul Jazz meint: die Musik soll Bauch und Seele ansprechen, keine Hirnakrobatik. Alles eigene Kompositionen und ein interessanter Sound schon von der Instrumentierung her: Hammond-B3-Orgel, Sax, Trompete, Gitarre, Schlagzeug. Das gibt Klangfarben, Groove und Flow.

Drei Bandmitglieder kommen aus den USA, einer aus Österreich, Sie sind schweizerischer Österreicher. Eine seltsame Melange, oder?

Ich hab lange in New York gelebt und mit den Amerikanern in verschiedenen Formationen, auch mit vielen internationalen Stars gespielt. Wir kennen uns hervorragend. Neu ist John Arman aus Wien, ein fantastischer junger Gitarrist.

Man sucht „Soul Jazz Factor“ vergeblich in den sozialen Netzen. Nur ein kurzer Mitschnitt aus dem Londener „Ronnie Scotts“ von 1:01 min. Dauer auf YouTube. Ist das nicht riskant heutzutage?

Wissen Sie, der Job als Musiker ist beinhart. Wir müssen alle in verschiedenen Gruppen spielen. Eine feste Band geht aus Kostengründen nicht. Da bleibt keine Zeit mehr für Social Media und Homepage. Aber ein Info-Problem besteht da schon.

Ihr Tourplan ist ja grausam: z.B. Thalwil( Schweiz), Braunschweig, Saarbrücken, Monza (Italien) Jeden Tag woanders. Wie hält man das durch?

Tja, den Plan machen wir nicht. Man muss sehen, wann wo die Clubs bespielbar sind. Das ist schon anstrengend, man wird ja auch nicht jünger. Das geht nur, weil wir uns so gut kennen. Stress ist weg, wenn man spielt und merkt, dass das Publikum anbeißt. Und von Braunschweig wissen wir, dass es ein gutes Publikum hat. Wir freuen uns schon auf das Konzert im LOT-Theater.

Interview mit Joachim Kühn

„Grenzüberschreitung – das ist es!“

Joachim Kühn ist so etwas wie der Doyen des deutschen Jazzpianospiels. Am Sonntagabend tritt er mit seinem Trio „Chalaba“ im Braunschweiger LOT-Theater auf. Aus diesem Anlass befragte ihn unser Mitarbeiter Klaus Gohlke telefonisch in seinem Wohnort Ibiza.

KG. Herr Kühn, seit den frühen 70er Jahren treten Sie immer wieder in Braunschweig auf. Was ist das Besondere an dieser Stadt?

JK. Ja, stimmt. Interessant. Das hab ich sonst nur mit Paris oder mit New York. Das Braunschweiger Publikum ist sehr interessiert. Und dann ist die Zusammenarbeit mit dem Team der „Initiative Jazz Braunschweig“ hervorragend.

KG. Sie haben mit allen Größen des Jazz zusammengespielt. Hatten Sie irgendwann so etwas wie die ideale Band?

JK. Eine schwierige Frage. Da waren immer Highlights. Ornette Coleman z.B. Aber – doch: das Trio mit Daniel Humair und J.F. Jenny Clark. Wir waren auch in Braunschweig im Städtischen Museum. Schwierige Akustik, aber toll. Wir drei verstanden uns blind, hatten großartige musikalische Ideen, tolles Zusammenspiel auf höchstem Niveau.

KG. Sie sind gerade 70 Jahre alt geworden. Gibt es noch so etwas wie musikalische Wunschträume?

JK. Nein, Träume nicht. Was ich noch will, muss ich jetzt machen. Was mich umtreibt, ist, den Jazz zu öffnen für andere musikalische Kulturen. Deshalb das Trio „Chalaba“, das am Sonntagabend in Braunschweig spielt. Die Verschmelzung marokkanischer Melodien und afrikanischer komplexer Rhythmen mit dem, was wir modernen Jazz nennen. Also Grenzüberschreitung. Das interessiert mich, da lerne ich immer noch dazu.

KG. Ist unsere Art Jazzkonzerte zu hören, als säßen wir im Kammermusiksaal, nicht eigenartig körperlos?

JK. Da ist was dran. Ich hätte nichts dagegen, wenn die Leute aufsprängen und lostanzten. Sie könnten auch schreien, wenn ihnen danach wäre. Sollte man vielleicht mal ansagen. Nein, Jazz ist nicht nur Kopf, sondern auch Körper.

KG. Wie bekommen wir junge Menschen in die Jazzkonzerte?

JK. Das weiß ich auch nicht. Bei den Festivals, da sind alle Altersgruppen dabei. Aber in den Einzelkonzerten: Fehlanzeige. Es fehlt vielleicht an Lockerheit. Oder so ein Unterhaltungselement. Aber auf Unterhaltungsmusik – Niveau begebe ich mich nicht. Vielleicht kommt das mal wieder anders. Vielleicht schon am Sonntag in Braunschweig.

Braunschweiger Zeitung, 25. 09. 2014