Pablo Held Trio

Pablo Held, p
Jonas Burgwinkel, dr
Robert Landfermann, b

Anfang 2010 war das Pablo Held Trio schon einmal zu Gast bei Jazz BS im Lindenhof. Es gab viel Hype um jene Senkrechtstarter damals, ihr Konzept der Überwindung vorstrukturierter Arrangements. Weg vom Thema-Solo-Schematismus, dafür das Wagnis, aus der Situation heraus plausible Wege des Zusammenspiels zu entwickeln. In der Konzert-Rezension hieß es damals: „Von ihnen wird man sicherlich noch einiges hören!“

In der Tat. Zehn Jahre spielen Pablo Held, Jonas Burgwinkel und Robert Landfermann nun schon zusammen. Im Trio, im Tentett, im Quartett mit John Scofield. „One of the great groups in music today! “, ein Ritterschlag durch die Gitarrenlegende Scofield.
Burgwinkel und Landfermann ihrerseits gehören längst zu den gefragtesten Rhythmus-Sidemen, weit über Deutschlands Grenzen hinaus

Das Pablo Held Trio tritt weltweit auf, in diesem Jahr in den USA, Schweiz, Österreich, Süd-Korea, Niederlande, Kanada und – ja – in Braunschweig.

Sie präsentieren diesmal ihr jüngstes Album “Lineage”, wiederum akustische, experimentelle Musik, in der unterschiedlichste Stilistiken und Genres zu einer eigenen Mixtur verschmolzen werden. Filigraner, kammermusikalischer Jazz, der die Grenzen von Improvisation und Komposition überschreitet.

Dass das auch nach so langem Zusammenspiel zu produktiven Ergebnissen führt, liegt zweifelsfrei am großen Repertoire in Bezug auf Stilarten, Techniken, Genres, die die drei Ausnahmemusiker auf erstaunliche Weise situativ abzurufen verstehen. Es ist ein vorzügliches Interplay, bei dem Ideenentwicklung und Ideenverarbeitung reibungslos vonstattengehen. Dabei bewegen sich die Stimmen selbstständig, jeder Musiker kann sich individuell entfalten, ohne dass der Ensemble-Charakter verloren geht. All das ginge nicht, gäbe es zwischen Pablo Held, Jonas Burgwinkel und Robert Landfermann nicht eine tiefe menschliche Übereinstimmung, die die Basis für experimentelle, freisinnige und ungewisse Ausflüge in musikalische Terra Incognita bilden.

Braunschweig ist für das Pablo Held Trio eine Top-Adresse, weil es vor sechs Jahren hier ein ungemein aufgeschlossenes Publikum erlebte, das sich bereitwillig auf Wanderungen durch Bebop, Cool- und Freejazz, neue Musik und Melodiefreudigkeiten einließ und damit auch wesentlich zur Spielfreude des Trios beitrug.

Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
• Online über eventim
• Abendkasse

Eintritt: Abendkasse 20 € / 18 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
MAB – Hoffmann Maschinen- und Apparatebau GmbH
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Kritik zu “Pablo-Held-Trio”

Ohne Netz und doppelten Boden

Das Pablo-Held-Trio brilliert mit zeitgenössischem Jazz

Ist es wie Schwimmen im offenen Meer oder Wandern im Gebirg? Wie soll man es umschreiben: das Hören der Musik eines der angesagtesten deutschen Piano-Trios? War es Jazz oder nicht stellenweise Neue Musik, was das Pablo-Held-Trio am Freitagabend im Theatersaal des Lindenhofes in Braunschweig zu Gehör brachte?

Dabei fing es so locker an mit Pablos Helds Begrüßung des sehr zahlreich erschienen Publikums. Man verzichte seit geraumer Zeit schon auf jegliche Absprache vor und während des Konzertes. Irgendwie finge es an, ginge es weiter – oder auch nicht. „Wir haben alle, Sie als Zuhörer, wir als Musiker den gleichen Ausgangspunkt!“ Das mochte beruhigen oder aber überhaupt nicht. Je nach Abenteuerlust.

Und so entwarf Robert Landfermann am Kontrabass eine lockere Tonfolge, die Jonas Burgwinkel am Schlagzeug kommentierte. Zögerlich, rhythmisch erst nach und nach übereinstimmend. Der Pianist sitzt da; die Augen geschlossen, so den Klängen und Akzenten eine Struktur ablauschend. Der Bass nimmt an Fahrt auf, das Schlagzeug folgt dem, verdoppelt das Tempo, fällt zurück, verteilt die Akzente variabel und überrascht mit stetiger Soundveränderung.

Plötzlich Pianotupfer, die den Bass verstummen lassen. Ein Wohlklangteppich wird skizziert. Der Bassist nimmt die Harmonien auf, Unisono-Partien entstehen sogar. Und indem Burgwinkel plötzlich ordentlich Dampf an den Drums macht, fängt das Ganze an zu grooven. Phänomenal! Das geht nur, wenn man schon sehr lange miteinander spielt. Zehn Jahre hat das Trio schon auf dem Buckel, eine erstaunlich feste musikalische Beziehung.

Aber – warum haben die Musiker Noten vor sich liegen? So frei ist das wohl doch nicht? Und wenn Held plötzlich sehr kraftvoll mehrfach einen Akkord anschlägt und die Musik eine ganz andere Fahrrichtung aufnimmt, dann wird doch gesteuert – oder? Es gibt eine Art Tiefenstruktur. Muss ja auch, wird hier doch nicht Hardcore-Freejazz zelebriert.

So wechseln Passagen, die tonal sehr abstrakt sind, mit jenen, die Rückgriffe auf Traditionen offenbaren. Klassischer Walking Bass, brutaler Punkbeat an den Drums. Akkorde, die erweitert und reduziert werden. Ein beständiger Entwurf von Erwartungen, die nahezu gesetzmäßig über den Haufen geworfen werden.

Faszinierend, wie die Musiker zwei Sets von mehr als einer halben Stunde Dauer ohne Pause entwickelten. Andererseits für den Zuhörer, der statt dieser Art der offenen Improvisation lieber Haltepunkte im Melodischen sich gewünscht hätte, durchaus eine Anstrengung. Jedoch: war Jazz nicht schon stets provozierend, Hörgewohnheiten in Frage stellend?

Lang anhaltender Beifall, die obligate Zugabe, aber auch einige Knitterfalten in der Stirn. Genau so soll es sein.

Klaus Gohlke

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Kommentar zu “Christoph Irniger Pilgrim Quintett”

Christoph Irniger: Pilgrim

Das war Jazz, wie er sein sollte. Herausfordernd bis zum Widerspruch. Keine museale Veranstaltung, aber der Traditionsbezüge bewusst. Musik, die interpretatorischen Freiraum schuf. Emotionen erweckte: zwischen Nachsinnen, Meditation, Zorn, purer Freude,
Zweifel. Virtuosität, immer mannschaftsdienstlich, keine Ego-Trips. Als Fundament neben der musikalischen Kompetenz das tiefe Verständnis füreinander und das Vertrauen, dass man angesichts der Offenheit des Interplays kreative Ideen schon entwickeln wird. Das es etwas werde. „Der Jazz,“ sagte sinngemäß Peter Rüedi, „hatte nie Berührungsängste, er legte sich zu jeder/jedem ins Bett!“ So bewegte man sich zwischen konventioneller Themenvorgabe und deren Entfaltung, noise-artiger Destruktivität (man kann durchaus punkig-rockig sagen), kammermusikalischem Intimgespräch zwischen variierenden Bands in der Band, solistischen Höhenflügen und anspannenden Suchphasen, die an die Überleitungen bei Keith Jarretts Solo-Piano-Konzerte erinnerten.
Und dann noch – nicht zuletzt: Jazz live ist einzig, Konserve kann das nicht wiedergeben. Wunderbar zu sehen, wie sich das Musizieren in der Körperhaltung, der Mimik, der Interaktionen insgesamt niederschlägt.

Klaus Gohlke

Christoph Irniger “Pilgrim” Quintett

Christoph Irniger – ts
Stefan Aeby – p
Dave Gisler – g
Raffaele Bossard – b
Michi Stulz – dr

Das Quintett Pilgrim um den Züricher Tenor-Saxofonisten Christoph Irniger spielt Musik, die sich nur schwer kategorisieren lässt. Ausgerüstet mit einer gesunden Portion Selbstbewusst-sein und jeder Menge Abenteuergeist, begeben sich die fünf Musiker auf eine musikalische Reise. Anders als Touristen, die ihre Erwartungen bestätigt haben wollen, gehen die Musiker das Wagnis ein, etwas zu erfahren. Sie sind auf Entdeckungsreise, unterwegs in einem Abenteuer ohne Reiseführer, Risikoversicherung und Rückflugticket. Der dazugehörige Soundtrack oszilliert zwischen rätselhafter Selbstreflexion und wilden Eruptionen, wobei die Musiker einen vollen, dichten Rundum-Sound schaffen. Letztens stellte die Band mit „Italian Circus Story“ ihr zweites Album vor, das auf dem renommierten Schweizer Label Intakt Records erschienen ist.

Die Songs des Albums sind von einem lässigen, mediterranen Flair durchweht. Die Kompositionen lassen viel Platz für Spontaneität und Improvisation, wobei der Klangkörper mit seinen vielseitigen Untergruppierungen voll zum Tragen kommt. Mal sind die Stücke durchkomponiert, mal nur skizzenhaft angerissen. „Fertige Noten sind für Christoph Irniger nichts anderes als eine Überschrift, ein Thema einer möglichen Geschichte oder eine Tür, die in einen weiteren musikalischen Freiraum führt,“ schreibt der Jazz-Kritiker Franz X. Zipperer. Egal, welcher Musiker ein Thema aufgreift, er wird die Geschichte jeweils anders erzählen. So sind die Stücke auf der CD quasi in ihrer Reinform zu hören, als Moment-aufnahme, mit der Unmittelbarkeit eines Konzertes. Ihre Musik ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass manchmal das Gesamte weit mehr ist als die Summe seiner Einzelteile.

Die Band, die seit 2010 besteht, hat sich über die Jahre neu gruppiert und zu einer der aufregendsten Ensembles des jungen europäischen Jazz entwickelt. Die fünf Musiker stammen aus unterschiedlichen Teilen der Schweiz. Sie treten in verschiedenen Gruppen auf der ganzen Welt auf und haben in ihren noch jungen Karrieren Gelegenheit gehabt, mit Jazz-Größen wie Dave Douglas, Nasheet Waits, Dave Liebman oder Joey Baron zu lernen und zu spielen.

Musiker

Christoph Irniger – Saxophon, geboren 1979 in Zürich, studierte von 2000-2006 an der Jazzschule Zürich Musikpädagogik und der Musikhochschule Luzern Performance bei Christoph Grab und Nat Su. In den folgenden Jahren hielt er sich regelmäßig in Berlin und New York auf. Er war Gewinner des Förderpreises 04 der Friedel Wald Stiftung, erhielt die „borsa di studio“ für Sienajazz 06 und ist Gründer der Bands Christoph Irniger Trio, Pilgrim, NoReduce und den Cowboys from Hell, mit denen er 2010 den 3. Platz beim ZKB Jazzpreis belegte. Ferner wirkte er bei Aufnahmen und Auftritten zahlreicher Künstler mit, u.a. Ohad Talmor, Nasheet Waits, Dan Weiss, Dave Douglas, Claudio Puntin, Nils Wogram, Ziv Ravitz, Nat Su, Max Frankl, Stefan Rusconi, Christian Weber, Vera Kappeler sowie dem Lucerne Jazz Orchestra.  Er spielt Konzerte im In- und Ausland und sein Werk ist bis dato auf über 15 Tonträgern dokumentiert. Irniger unterrichtet am Konservatorium Zürich.

Stefan Aeby – Piano, geboren 1979 in Fribourg, lernte bei verschiedenen Musikern wie Jean Christophe Cholet, Art Lande und Marc Copland. Gleichzeitig erlangte er einen Master in Musikwissenschaft an der Universität Freiburg. Er leitet seit 2008 sein eigenes Trio und spielt regelmäßig mit dem Tobias Preisig 4, dem Lisette Spinnler 5 und Sarah Büchi‘s Flying Letters. Er ist zudem als Komponist für verschiedene Theaterprojekte und Stummfilme tätig. Er spielt oder spielte mit: Frank Tortiller, Gabriele Mirabassi, Bob Mintzer, Chris Potter, Claudio Puntin, Clarence Penn, Yves Torchinsky, Bänz Oester, Samuel Rohrer, Lisette Spinnler, Claudio Pontiggia, Marcel Papaux, Samuel Blaser, Gustav, Julien Charlet, Rick Margitza, Patrice Moret, Stéphane Belmondo, Julian Sartorius, Oscar D’Leon, Tom Harrell… Verschiedene Tourneen führten ihn nach Asien, Südamerika, Afrika und durch große Teile Europas. Von 2004 bis 2010 unterrichtete er an der Jazzschule Montreux. Seit Herbst 2010 unterrichtet er am Konservatorium Freiburg. Zudem ist er auf über 18 Tonträgern zu hören.

Dave Gisler – Gitarre, geboren 1983, wurde von seinen Eltern privat unterrichtet und nahm bei seinem Vater ab dem 8. Lebensjahr klassischen Gitarrenunterricht. Mit 23 Jahren absolvierte er die Musikhochschule Luzern, wo er u.a. von Kurt Rosenwinkel unterrichtet wurde. Er ist Mitbegründer der Band NoReduce. Ferner spielte er u.a. in Japan, den USA und Europa als Sideman in den Bands von Weird Beard, Mat Down, Noflores, Asmin, Mumur, und dem Lucerne Jazz Orchestra. Er spielte mit Nasheet Waits, Dave Douglas, Peter Frei, Nat Su, Jeff Davis, Heiri Känzig, Lukas Niggli, Jonas Burgwinkel, Claudio Puntin, Jean-Paul Brodbeck, Samuel Rohrer, Chris Wiesendanger, Lisette Spinnler, Domenic Landolf, Ahmed Fofana u.v.a. 2009 spielte er mit “Yvonne Meier’s Scores“ beim Visions-Festival in Manhattan und ist Preisträger der Heinrich Danioth-Stiftung für einen viermonatigen Atelieraufenthalt in New York. Als Stellvertretender Dozent hat er an der Musikhochschule in Luzern sowie Zürich Lehraufträge wahrgenommen.

Raffaele Bossard – Kontrabass, geboren 1982, kam mit 17 Jahren über den Elektrobass auf den Kontrabass. Im Sommer 2008 schloss er mit einem Master in Pädagogik und Performance (mit Auszeichnung) die Hochschule Luzern für Musik ab. Zu seinen Lehrern zählten u.a. Heiri Känzig, Hämi Hämmerli, Patrice Moret und Peter Frei. Raffaele Bossard spielt bei Matthias Spillmanns’ Mats-Up, Dominik Egli’s Plurism, Christoph Irniger Trio und dem Joe Haider Quartett. Seine noch junge Karriere ließ ihn mit Jazz-Größen spielen wie: Joey Baron, Nasheet Waits, Nils Wogram, Hayden Chisholm, Claudio Puntin, Ohad Talmor, Ziv Ravitz und Nat Su. Er spielt regelmäßig im In- und Ausland und seine musikalische Tätigkeit ist auf zwei Dutzend Tonträgern dokumentiert. Raffaele Bossard ist Preisträger des ZKB Jazzpreises, Moods Jazz & Blues Award, der Friedel-Wald Stiftung 2008 und der Korporation Zug und war Teilnehmer des 18. internationalen IASJ Meeting in Riga, Lettland.

Michael Stulz – Drums, geboren 1977 in Basel. 1998: 4-monatiger Aufenthalt in New York. Studium an der Drummers Collective. 1999-2004: Jazz-Studium an der Musikhochschule Luzern mit Unterricht bei Norbert Pfammatter, Fabian Kuratli und Pierre Favre. 2004: International Jazz Meeting in Freiburg unter der Leitung von George Gruntz. 2005: 6-mona-tiger Aufenthalt in Westafrika mit Konzerttätigkeit und Unterricht in Afrikani-scher Perkussion. Festivals und Konzerte in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Portugal, Italien, Japan, Holland, China, Korea, Peru, Bolivien, Syrien, Burkina Faso, Ghana, Kosovo, Albanien. Aktuelle Formationen: Stefan Aeby Trio, Tobias Preisig Quartett, Christoph Irniger Pilgrim, Lisette Spinnler Band, Luca Sisera Roofer, Jochen Baldes Subnoder.

Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
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Eintritt: Abendkasse 20 € / 18 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Interview mit Christoph Irniger

Freiheit an langer Leine

Ein Interview mit dem Züricher Saxofonisten Christoph Irniger

Jazz ist improvisierte Musik. Am Freitag, dem 4. 11. 2016 wird eine der renommiertesten Schweizer Jazz-Bands, Christoph Irnigers „Pilgrim“, im Theatersaal des Lindenhofs Braunschweig ein Konzert geben. Und diese Band hat ein ganz eigenes Verständnis vom Improvisieren. Was es damit auf sich hat, erkundete unser Mitarbeiter Klaus Gohlke im Telefonat mit dem Züricher Saxofonisten und Bandleader.

Eure Band nennt sich „Pilgrim“. Das klingt nach Wallfahrt.

Neinnein. Es gibt da keinen religiösen Hintergrund. Das Wort „Pilgrim“ klingt erst einmal schön. Andererseits hat es etwas Mystisches und passt zu unserer Musik. Es steht für das musikalische Reisen, Erkunden. Das Vorstoßen in eine Welt, in der Konstanten sich auflösen. So etwas wie geordnete Freiheit.

Ihr werdet auf dieser Tour unterstützt durch „Pro Helvetia“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Pro Helvetia ist so etwas wie das Goethe-Institut, ist also für die kulturelle Präsentation der Schweiz im Ausland zuständig. Sie zahlen die Reisespesen und die PR-Unterstützung.

Kommen wir zu eurer Musik. Du sprachst von „geordneter Freiheit“ beim Musizieren.

Ja, wir spielen nicht Free Jazz. Unsere Jazz-Wurzeln liegen woanders. Etwa bei Wayne Shorter, Keith Jarretts American Quartett und – was die Energie und Dramaturgie des Zusammenspiels betrifft – das 1969er Miles Davis Quintett. Wir spielen also Kompositionen. Aber die muss man ja nicht linear, gradlinig abspielen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten innerhalb des Spiels. Du kannst sehr konkret sein, d.h. vom Blatt spielen. Du kannst das, was an Material vorliegt, aber auch emotional unterschiedlich behandeln. Sehr expressiv oder sehr verhalten-innerlich. Du kannst einzelne Aspekte der Komposition detailliert herausheben, aber auch zeitlich dehnen oder stauchen.

Du hast andernorts davon gesprochen, dass euer Zusammenspiel nach einem Baukastenprinzip abläuft. Das klingt sehr technisch-konstruiert.

Nein, das nicht. Unsere Kompositionen haben eine innere Gliederung, verschiedene Abschnitte, mehrere in sich verbundene „Sätze“. Und die kann man variabel kombinieren. Z.B. Teile in verschiedener Reihenfolge spielen, etwas weglassen. Die Herausforderung ist, etwas Gemeinsames zu entwickeln. Man muss sehr gut aufeinander hören. Das geht nur mit Musikern, die sehr gut spielen können, vor allem aber ein tiefes Verständnis untereinander haben. Es gibt einfach bei dieser Improvisationsweise viele Momente, die nicht planbar sind, aber es gibt Zielpunkte beim Spiel, die man erspürt. Das werdet ihr in Braunschweig erleben.

Christoph Irniger Quintett „Pilgrim“. Freitag, 4. 11. 2016 20 Uhr im Theatersaal des Lindenhofs Braunschweig. Karten an der Abendkasse und en üblichen Vorverkaufsstellen.

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Jamsession im Quartier

Opener:

Alfred Hirsch – harp
Tobias Lampe – git
Heinrich Römisch – bass
Niklas Neumann – drums

Eintritt: frei

Lisbeth Quartett

Charlotte Greve – sax
Manuel Schmiedel – p
Marc Muellbauer – b
Moritz Baumgärtner – dr

Klingt irgendwie anders, dieser Bandname: „Lisbeth Quartett“. Sympathisch und ein wenig lustig. Ja, fast schon wie eine Persiflage auf die im Jazz übliche Nomenklatur aus Bandleader-Name plus Bandmitglieder-Zahl. Dabei ist Lisbeth bzw. Elisabeth einfach nur der zweite Name der Bandleaderin Charlotte Greve. Warum denn nicht „Charlotte Greve Quartett“? Nein, das klänge einfach zu „naja“, so die Begründung der jungen Quartett-Chefin in einem Interview.
Das ist jedenfalls sicher: Das „Lisbeth Quartett“ klingt alles andere als „naja“, vielmehr nach etwas, das man gut kennt… und mag. Den Jazz neu erfinden, nein, das wollen die drei jungen und der eine etwas reifere Musiker definitiv nicht. Stattdessen wollen sie mit einer „leidenschaftlichen Selbstverständlichkeit“ erfrischend leicht anmutenden Jazztiefgang bieten und sich dabei stetig entwickeln.
2009 in Berlin gegründet, mauserte sich das „Lisbeth Quartett“ mit dem Pianisten Manuel Schmiedel, mit Marc Muellbauer am Bass und Moritz Baumgärtner am Schlagzeug schnell vom Geheimtipp zur Qualitätsmarke. 2012 erhielten die vier Musiker den Jazz-Echo als „Newcomer des Jahres“. Da hatten sie bereits zwei Alben veröffentlicht. Das dritte, „Framed Frequencies“, ist 2014 erschienen. Im Vorfeld hatte sich die Band auf ein Konzept geeinigt, das im Jazz nicht unbedingt das übliche ist. Dazu heißt es auf Charlotte Greves Website: „Die Komposition wird nicht auf den Trigger für die Improvisation limitiert, sondern die improvisatorischen Möglichkeiten der einzelnen Protagonisten werden in die Komposition integriert.“
Charlotte Greve und Manuel Schmiedel hat es aus der deutschen Hauptstadt nach New York verschlagen, Moritz Baumgärtner und Marc Muellbauer leben weiterhin in Berlin. Das neue Album bildet somit einen ozeanübergreifenden Austausch ab. Es sei, so die Band, „eine urbane, Kontinente und Generationen übergreifende Schatzinsel der Perspektiven, die sich aus über hundert Jahren Jazzgeschichte für die Zukunft auftun.“ Wir nennen das einfach mal eine ganz besondere „Inselbegabung“.

Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
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Eintritt: Abendkasse 20 € / 18 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

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Kritik zu “Lisbeth Quartett”

Verblüffende Klangwelten

Improvisation mit angezogener Handbremse
Das Lisbeth-Quartett verändert das übliche Jazz-Improvisations-Schema

Das war absolut ungewohnt. Ein Jazzkonzert, in dem es – bis auf eine Ausnahme – keinen Zwischenbeifall für Soloparts gab! Ist ja sonst so üblich bei den Jazzern. Es wird ein Thema eingeführt, eine Akkordfolge entfaltet und alsbald geht es über in das Thema-Solo- Schema. Die Band tritt dann in den Hintergrund, der Solist brilliert – Beifall! Und dann die nächste Runde, same procedure…

Damit hat Altsaxofonistin und Komponistin Charlotte Greve mit ihrem Lisbeth-Quartett offenbar nicht viel am Hut. Ihre Kompositionen beginnen in der Regel mit kurzen Tonfolgen, die immer wieder leicht abgewandelt werden, zögerlich-suchend fast. Bass, Piano und Schlagwerk reagieren darauf höchst unterschiedlich. Mal Frage-Antwort-Spiel, mal Unisono, dann vom Takt her verzögert. Es gibt andere Akzentuierungen und Erweiterungen, die sich zu einem immer dichteren Zusammenspiel aufschwingen.

Aus diesem Klanggewebe heben sich – inselartig – Einzelstimmen heraus, ohne dass der Rest der Band pure Begleitung wird. So hebt Charlotte Greve mit ihrem Altsaxofon oft für eine Weile ab mit ungemein beweglichem, variantenreichem, schön artikuliertem Spiel. Währenddessen tun sich Pianist Manuel Schmiedel und Marc Muellbauer am Bass zusammen und verdichten das Ganze mit mal abstrakten, mal sehr harmonischen Dialogen. So hat man dann einen vom Tempo, Rhythmus, der Dynamik, dem solistischen Anteil her ständig wechselnden musikalischen Bewusstseinsstrom. Das alles läuft ohne Effekthascherei mit erstaunlicher Präzision, höchst kontrolliert. Aber – vielleicht etwas unterkühlt?

Ganz verblüffend ist, wie Schlagwerker Moritz Baumgärtner das Arbeitsprinzip der Band auf sein Instrument überträgt. Das klappert, raschelt, knallt, quietscht, klingelt, kratzt, schabt, dämpft, wirbelt. Und dazu braucht es Sticks, Schlägel, Ruten, Besen, Dämpfer, Stäbe, Drähte, Stifte, Geigenbögen. Er ist ein permanenter Unruheherd, ohne das Gesamtkonzept der Aufführungspraxis zu torpedieren.

Medizinisch gesprochen, könnte man sagen, dass insgesamt betrachtet die Wirkung der Musik nicht intravenös (volle Dröhnung), sondern eher subkutan, also unter die Haut platziert, erzielt wird.

Mit einer Ausnahme: Der Zugabe. Da passierte das, was ausgeschlossen schien: Pianist Manuel Schmiedel übernahm explizit die Solistenrolle und spielte wie losgelöst, den Rest der Band mit sich reißend. Und da gab es den bekannten Zwischenbeifall des zahlreich erschienenen kundigen Publikums im Theatersaal des Braunschweiger Lindenhofes.

Klaus Gohlke

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free music full blast einmaliges sonderkonzert mit PETER BRÖTZMANN und WOLFGANG SCHMIDTKE

free music full blast einmaliges sonderkonzert mit PETER BRÖTZMANN und
WOLFGANG SCHMIDTKE

Beitragsbildobwohl vor kurzem 75 jahre alt geworden hat er bei seinem atemberaubenden
spiel nichts von seiner stupenden intensität eingebüsst. Peter Brötzmann
gilt seit der mitte der 60er jahre als eine der exemplarischen grössen der
europäischen free jazz szene. als mit begründer der free music production
und des globe unity orchestra schuf er mit an fundamentalen bedingungen für
eine besondere spielart des jazz. seine lp von 1968 ” machine gun” erwies
sich als eines der provovierendsten werke der modernen jazzgeschichte
europas. Brötzmann spielte und spielt mit allen wichtigen akteuren (
europäisch und weltweit) des freien jazz. sein aktuelles quartett besteht
aus musikern unterschiedlichen alters aus den usa und gb, das in seinem
zusammenspiel ganz ungewöhnliche aspekte erfahren lässt.

in braunschweig wird er im duo mit WOLFGANG SCHMIDTKE zu hören sein,
wuppertaler , der seit den 1980er jahren in verschiedenen bereichen der
zeitgenössischen musik aktiv ist. das jazz duett mit zwei frei
improvisierenden holzbläsern wird am 11. juni 2016 in braunschweig zu
erleben sein.

LINDENHOF, Kasernenstrasse 20, BS
Beginn 20 uhr Eintritt 15 euro
kontakt und vorbestellung: email[at]galerieaufzeit.de – 0531 270 26 57

Interview mit Peter Brötzmann

„Was heißt Krawall?!“

Die Free Jazz – Legende Peter Brötzmann kommt nach Braunschweig

Einen dicken Fisch hat der Braunschweiger Galerist Hans Gerd Hahn da für seine Veranstaltungsreihe „Freies Improvisieren“ an Land gezogen. Dicker geht es gar nicht! Der Saxofonist Peter Brötzmann, der Übervater des Free Jazz, wird zusammen mit Wolfgang Schmidtke, auch ein Holzbläser, am Samstag, dem 11. Juni im Braunschweiger Lindenhof ein Gastspiel geben. Er ist das Enfant terrible des Jazz. Für die einen ein Jazz-Punk, für die anderen die Verkörperung der Avantgarde. An ihm scheiden sich die Geister. Ein kantiger Typ mit klarer Ansprache. Unser Mitarbeiter Klaus Gohlke befragte ihn zu den Hintergründen und der Einordnung seiner Musik.

Sie gelten als der Regelverletzer in der Musik schlechthin, als der Vater des Free-Jazz. Einverstanden?

Solche Zuschreibungen gefallen mir überhaupt nicht. Ich war das ja nicht allein. Da waren noch Gunter Hampel, Peter Kowald, Alex Schlippenbach usw. Allein geht das gar nicht. Man nennt das Free-Jazz, man braucht eben eine Bezeichnung.

Warum waren Sie so auf Krawall gebürstet?

Was heißt Krawall? In den früher 60er Jahren hatte ich mein Kunststudium fertig. Ich assistierte bei dem wunderbaren koreanischen Künstler Nam Jun Paik, später bekannt für seine Videoinstallationen. Der sagte zu mir: „Du kannst alle Materialien für deine Kunst benutzen. Du musst eine Idee haben, das umsetzen wollen!“ Ich hatte keinen Nerv mehr für formale Regeln in der Musik. Akkordfortschreibungen, Skalen, Melodien und dieses ganze Zeugs. Ich wollte mich nicht länger unterwerfen, ich wollte mich in und mit der Musik ausdrücken, Fragen provozieren.

Aber die Reaktionen? Sie spalten doch das Publikum?

Die einen sagten, wir wären Scharlatane. Für andere war es ein Aus-, ein Aufbruch. Aber Deutschland war schon immer etwas schwierig. In Polen, Holland, Schweden, England, den USA, Japan, auch Afrika war man interessiert. 90 Prozent meiner Auftritte finden im Ausland statt. Die sind toleranter. Die wollen nicht immer dasselbe hören, vor allem: die hören zu und kommen nicht mit Hörschablonen.

Sie gelten immer noch als Jazz-Avantgardist.

Ja, das ist doch paradox. Ich bin 75 und Avantgardist. Das müssten doch die 25-Jährigen von heute sein! Es gibt eine Reihe guter Virtuosen, viele gut ausgebildete Musiker, aber eigentlich zu wenig gute Musik. Die fragen sich, wie sie groß rauskommen können. Ich muss doch aber erst einmal wissen, wer ich bin, was mir die Musik bedeutet.

Sie wirken im Konzert oftmals wie ein Kessel unter Hochdruck. Die Musik bricht aus Ihnen hochenergetisch heraus. Denken Sie beim Spielen noch?

Nein. Denken stört nur. Es muss fließen. Ich mag die körperliche Seite meines Spielens, die intensive Kommunikation mit meinen Mitspielern. Nach dem Spielen bist du fix und fertig, der Kopf ist leer. Aber – wenn es zum intensiven Austausch kommt – dann hat sich das alles gelohnt.

Was wünschen Sie sich für das Braunschweiger Konzert?

Dass die Leute sich herausreißen, verstören, begeistern lassen wollen. Kurz. Ein schönes Konzert.

Peter Brötzmann/ Wolfgang Schmidtke spielen am 11.6. 2016 ab 20 Uhr im Theatersaal des Lindenhofs in Braunschweig. Eintritt Abendkasse 15 Euro.

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Kritik zu “Peter Brötzmann und Wolfgang Schmidtke”

Zwischen Zähneknirschen und Freude

Die Free-Jazzer Peter Brötzmann und Wolfgang Schmidtke überzeugten ihre Fans

Ziemlich viel Blech und etwas Holz, gebogen und gerade, lag da vor und auf der Bühne für zwei Herren herum, die von Haus aus Holzbläser sind. Saxofone und Klarinetten. Es gab ja den berühmten Rasan Roland Kirk, der gelegentlich zwei Instrumente auf einmal spielte. Aber dafür sind die beiden Akteure des Abends, Peter Brötzmann und Wolfgang Schmidtke, nicht bekannt. Der Braunschweiger Galerist Hans Gerd Hahn hat ein Faible für frei improvisierte Musik und lud ein zum Konzert im Braunschweiger Lindenhof. Wer dort hin kam, wusste, was er tat. Es waren knapp siebzig Gäste, besser Überzeugungstäter. Denn Brötzmanns Musik gilt als frei. Was bedeutete, die ganzen Gesetzmäßigkeiten der Jazzmusik kaputtzuhauen, wie er es im Gespräch drastisch formulierte.Nur wenigen gefiel das damals.

Und vom französischen Kritiker Alain Gerber ist, was Free Jazz betrifft, das Zitat überliefert: „Ich war zerrissen, ausgelaugt, es ging mir schlecht, ich hatte Lust mit den Zähnen zu knirschen. Aber zu gleicher Zeit überkam mich eine ungeheure Freude!“ Freude und Spaß wünschte Galerist Hahn den Zuhörern.

Mit einer Art Urschrei eröffnete Brötzmann auf dem Altsax das Konzert. Es folgten sich immer wiederholende Tonfolgen, ungeheuer kraftvoll, minimal variiert. Durchdringend in den Höhen. Schmidtke am Tenorsax stimmte ein, hatte dann aber anderes vor. Er spielte große Intervallsprünge, wobei ein intensiver Tiefton einen scharfen Kontrast zu Brötzmanns Höhenschreien bildete. Hin und wieder tonale und rhythmische Übereinstimmungen. Aber dann wieder expressive Ausbrüche, die einem externen Hörer wie das Aufschreien von gepeinigten Tieren vorkommen konnte. Schmidtke reagiert musikaisch eher gleichmütig. Intensive Kommunikation sei die Essenz der Zusammenspiels im Jazz, sagte Bötzmann. Was für eine Form von Kommunikation ist das?
Die Improvisationen sind zwischen zehn und zwanzig Minuten lang. Physisch, aber auch von der musikalischen Konzentration her eine beachtliche Leistung, immerhin istl Brötzmann schon 75 Jahre alt ist. Aber er ließ nicht locker. Das Zwiegetön der Tenorsaxofone an anderer Stelle schien dem Gesetz „Immer mehr Töne – immer schneller – immer lauter“ zu folgen. Ist es nicht so etwas wie Thrash-Jazz, was vor allem Brötzmann zelebriert? Er nannte sich ja auch schon mal Prä-Punk.

Wenn man das Ganze auf den Punkt bringen will, kann man sagen, dass das Konzert in Sachen Dynamik keine Abstufungen zeigte, es war nur Ausbruch. Dabei übernahm Schmidtke eine eher traditionelle Rolle. Mitunter meinte man bei ihm Bebop-Phrasen zu hören, Tonleiter-Repetitionen, Melodie-Elemente, also Rückgriffe auf musikalische Modelle, die Brötzmann dann in Schutt und Asche legte. Er setzte Sounds, Klangflächen dagegen, spielte eher modal.
Das Ohr, das in der Regel nach Haltepunkten sucht, nach musikalischen Mustern, hatte da schwer zu tun, war mitunter hilflos. Und: Ein Free-Konzept ist auf die Dauer auch gleichförmig.
Trotzdem: Begeisterung und die erforderliche Zugabe.

Klaus Gohlke

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»Veras Kabinett« live im Großen Musiksaal

Independent Kunstliedgut von und mit Veras Kabinett – das Quartett um die Berliner Komponistin und Sängerin Vera Mohrs, spielt im Rahmen des Braunschweiger Ästhetik-Kolloquiums »Sinn – Sinnlichkeit – Widersinn II« an der Technischen Universität Braunschweig am Donnerstag den 9. Juni um 20:15 Uhr im Großen Musiksaal, Raum 58.133 A, Rebenring 58, 38106 Braunschweig.Foto: Veras Kabinett

BeitragsbildSchaurig-schön, melancholisch, wild und versponnen: Das Quartett um Vera Mohrs präsentiert deutschsprachige Songs aus eigener Feder! Sängerin und Pianistin Vera Mohrs hat ein feines Gespür dafür, nachdenkliche Texte mit Ohrwurm-Refrains und variablen Arrangements zu verbinden. Mal wirkt sie als Chronistin gesellschaftlicher Phänomene, mal sinniert sie über die Zerrissenheit zwischen Aufbruchsstimmung und Klammern am Bekannten. Vera Mohrs schaut hinter Fassaden und beleuchtet Details. Sie entführt uns an nächtliche Tresen oder in die harte Realität der Legehennen-Industrie, bricht aus symbolischen Glashäusern aus oder fährt lustvoll Karussell. Unverhohlen demaskiert sie Illusionen, beschreibt hintergründig den eigenen künstlerischen Antrieb oder zartbittere Einsichten in die Vergänglichkeit. Für musikalische Stimmungskontraste sorgen die Mitmusiker Dominik Lamby (Bass), Hartmut Ritgen (Schlagzeug) und Nils Brederlow (Saxofon). Vera Mohrs studierte Komposition und Klavier bei Julia Hülsmann an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Seit 2011 lebt sie in Berlin und konzertiert deutschlandweit.

Giovanni Guidi Trio

Giovanni Guidi – Piano
Thomas Morgan – Doppelbass
João Lobo – Schlagzeug


Als Förderer junger italienischer Jazztalente hat Enrico Rava nicht nur Stefano Bollani und Gianluca Petrella ins Rampenlicht gerückt, sondern auch Giovanni Guidi, mit dem er das Album “Tribe” aufnahm. Insbesondere hebt Rava Guidis “grenzenlose Neugier” und seine “unnachgiebige Raffinesse” hervor. Guidis Alben sind gekonnte Sammlungen von Eigenkompositionen voller kreativen Wagemuts, bei denen die beiden Mitspieler reichlich Raum zur Entfaltung haben.

Alle drei Musiker haben ein ausgeprägtes Gespür für den Zusammenhall von Klang und Stille. So entstehen besondere lyrische Momente tiefer Reflexion, die große Originalität verraten.

Der Bassist Thomas Morgan ist Amerikaner. Er hat in vielen Bands mitgespielt, darunter in denen von Samuel Blaser, Paul Motian, John Abercrombie und Yoon Sun Choi. Und auch der Schlagzeuger João Lobo hat – trotz seiner relativ jungen Rampenpräsenz – bereits mit einigen großen Namen gespielt, darunter Gianluca Petrella, Roswell Rudd, John Hebert und Michael Attias.

Der Jazz, den diese drei spielen, ist sofort auf nachhaltige Zustimmung gestoßen. So lobt der britische Guardian die Musik des Trios als “ein dynamisches, aber auch eingängiges Programm mit Nummern, die an Paul Bleys frühe Interpretationen von Carla-Bley-Stücken erinnern, mit walzerartigen Balladen, …, mit eisig delikaten Melodien, die nahtlos in sinistre Märsche übergehen. Es mag zwar nur ein weiteres akustisches Jazz-Piano-Trio sein, aber eines, das sich schwungvoll gleich in die erste Reihe spielt.”

Karten:
Musikalien Bartels, 38100 Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12

Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
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– Abendkasse
– und weitere …

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Eintritt: Abendkasse 25 € / 22 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
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Öffentliche Versicherung Braunschweig
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Kritik zu “Giovanni Guidi Trio”

Zurück ist keine Zukunft

Jazz auf der Höhe der Zeit – eindrucksvoll gespielt vom Giovanni-Guidi-Trio

Nee, ne!? Sanfteste Dreiklänge, gefälligste und erwartbare Akkordwechsel. Romantisierend-volksliedhafte Melodien. Erstaunte Blicke im Saal, ungläubiges Hören! Sitzt man in der richtigen Veranstaltung? Das soll zeitgenössischer Jazz sein? Gespielt von einem Trio von größtem Renommee!

Bassist Nicolai Munch-Hansen tupft unbeirrt sanft tieftönige Bestätigungen. Schlagzeuger, nein, diese Bezeichnung ist zu brachial: Fell-und Blechstreichler Joao Lobo schabt und zischelt einen gefälligen Hintergrund. Ja, schön, zugegeben! Das klingt ja alles wunderlieblich.

Wo aber ist der Jazz? Jetzt schabt der Understatement-Trommler unangenehm an seinen Blechen. Der Bassist wird harmonisch diffuser. Und Pianist und Trio-Chef Giovanni Guidi scheint plötzlich abzudrehen. Harmonisch-Einleuchtendes wird zerstört. Dissonantes bricht sich Bahn. Die rechte Hand kreiselt in hohen Lagen, schwere Schläge mit der linken Hand. Was ein Klavier so alles aushält! Das Schlagzeug wird seinem Namen gerecht. Der Bass fügt sich ein. Zusammenhänge sind zerstört, eine völlige Free-Phase. Chaos statt Ordnung, Verstörendes statt Gefälligkeit.

Wie zur Beruhigung danach eine Bearbeitung der Farres-Komposition „Quizas“. Rhythmisch zunächst verschleppt – Guidi ist ein Meister im Umgang mit Tempoveränderungen – blüht das Stück dann auf zu elegant-synkopierter kubanischer Musik. Ein absolut ausgereiftes Zusammenspiel.

Später dann – wie Inseln im Klangkosmos auftauchend – auch Bekanntes. „My funny Valentine“, der alte Jazz-Klassiker. Und: ist das jetzt nicht „Can’t help falling in love“.?
Aber da ist kein Schwelgen in Erinnerungen Die Melodie-Zitate werden entfaltet, dann zunehmend verfremdet und in neue Kontexte gestellt. Gospel, Volksliedhaftes, Bluesphrasen, Mambo, Limbo, Hard-Bop, Filmmusikalisches, Atonales. Doch nicht als pures John Zornsches Fetzenwerk. Die Kompositionen sind strukturiert, die Teilthemen werden entfaltet.

Was das Guidi-Trio betreibt, kann man durchaus als systematische Irreführung der Zuhörer begreifen. Man wird beständig auf musikalische Fährten gelockt, die sich dann als abgründig erweisen.

Die dahinter stehende Idee ist klar. Die Musik – wie die Welt überhaupt – ist unübersichtlich geworden, es helfen keine einfachen Änderungen der Laufrichtung. Zurück ist keine Zukunft. Indem der Jazz diese Unübersichtlichkeit musikalisch aufgreift und anverwandelt, wird er zeitgenössisch. Was – wie die Begeisterung des Publikums zeigte – durchaus als anregend, lustvoll und provokant genossen wurde.

Klaus Gohlke

Jazz und Film in der Reihe “Sound on Screen”

Universum Filmtheater, Neue Straße 8, 38100 Braunschweig

JACOJACO
Regie: Paul Marchand, USA 2015, 111 Min., OmU

Metallica-Bassist Robert Trujillo produzierte diese packende Doku über Ausnahme-Musiker Jaco Pastorius, den „Jimi Hendrix des Bass“, der den E-Bass wie niemand zuvor oder danach revolutionierte und leider viel zu früh tragisch verstarb. Mit Joni Mitchell, Herbie Hancock, Wayne Shorter, Flea, Sting, Geddy Lee, Carlos Santana u.a.
“Before Jaco, bass didn’t know what it was yet.” – Bootsy Collins

Featured by Initiative Jazz Braunschweig!

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Anschließend spielt das Jazzrock-Trio CENTRIFUSION im Riptide auf. Mit Carsten Koloc (Drums), Artur Trzmielewski (Bass) und Bernt Küpper (Gitarre) wird es dynamissch, funky und jazzig…

DAVE HOLLAND TRIO
feat. Kevin Eubanks and Obed Calvaire

LOT-Theater, Kaffeetwete 4a, 38100 Braunschweig

Dave Holland – Bass
Kevin Eubanks – Guitar
Obed Calvaire – Drums

Das Konzert ist ausverkauft

17. Oktober 1993. Staatstheater Braunschweig. Die „Betty Carter All Stars“ waren angesagt. Ein Bassist eröffnete das Konzert. Was für ein Bass: Singend, swingend, elegant-fließend!
Welch Tonbett wurde da bereitet für “BeBop-Betty“, Geri Allen am Piano und Jack DeJohnette am Schlagzeug.
Der Mann am Bass war Dave Holland, ein Brite. Geboren in Wolverhampton, einer englischen Stadt so groß wie Braunschweig, gelegen in den West Midlands. Dort ging er in die musikalische Lehre, die bereits einen Wesenszug des Mannes widerspiegelt: Er spielte alles. Aber auf so besondere Art, dass Miles Davis ihn 1968 direkt aus einem Gig in Londons “Ronnie Scott’s“ nach New York holte. Er befand sich urplötzlich in der Jazz-Superliga als Nachfolger von niemand Geringerem als Ron Carter. Seite an Seite u.a. mit Chick Corea, Wayne Shorter, Tony Williams für Davis‘ fundamentale Alben “Filles de Kilimanjaro“, “In a Silent Way“ und “Bitches Brew“. Fusion-Jazz mit dem Double-Bass und dann mit dem um Effekte angereicherten E-Bass. Grandios. Aber: So sehr er Miles schätzte und die Inspiration genoss – Holland suchte seinen eigenen Weg.
Und wurde zur wandelnden Provokation für alle Jazzzfundis hüben und drüben, die Free-Fanatiker und die Traditionalisten. Er spielte mit Anthony Braxton Avant-Garde-Jazz, mit Stan Getz huldigte er der Tradition. In einem aber blieb und bleibt er sich treu: er spielt den “schweren“, den großen Bass. Dessen Gravitationszentrum sind für ihn das Klangpotential der tiefsten Saiten, die Materialität dieses Riesencorpus und daraus resultierend dann die Bevorzugung der schweren Begleitkontrapunktik, ohne schwer daherzukommen. So ist er einer der inspiriertesten Kollektiv- und Klangimprovisatoren geworden wie neben ihm wohl nur noch Charlie Haden.
Er gründete Trios, Quartette, Quintette, Sextette, spielte zu zweit oder allein, um transparent, offen, gleichwohl formbewusst und ungebunden von harmonischen Festschreibungen Jazz zu spielen.
“Ich spielte mit Bebop-Bands, mit Swing-Bands, Dixieland. Das ist alles Teil der Musikgeschichte. Und ich liebe es noch immer, diese Geschichte wieder zum Leben zu erwecken, indem ich sie unter meiner Perspektive betrachte. Das ist wie Bach wieder spielen, traditionelle Aspekte der Geschichte. Hauptsache sind Ehrlichkeit und Qualität!“, wie er in einem DownBeat-Interview sagte. Und so entwickelte er sich als Sideman und als Leader zu einem der komplettesten Virtuosen seines Instruments. Bester Instrumentalist, bester Jazzkünstler, bester Bandleader, beste CD – welche Ehrung hat er nicht erhalten?
Dafür braucht er gestandene, selbstbewusste Mitspieler. In Braunschweig tritt Dave Holland mit einem Trio auf, in dem
Kevin Eubanks (*1957), ein vertrauter Mitspieler, die Gitarre als Harmonie- und Melodieinstrument spielen wird. Er zeichnet sich durch dichtes, intensives, eher an impressionistischen Einwürfen und linearen Entwicklungen orientiertes Spiel aus statt an verpflichtenden Akkordprogressionen. Er spielte u.a. mit Art Blakey, Roy Haynes, Slide Hampton und Sam Rivers.
Der 33jährige Obed Calvaire (*1982) aus Miami gilt als exzellenter Drummer, der alle sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen weiß, ein kreatives Zusammenspiel voranzubringen. Wegen seiner inspirierenden Ausdrucksfähigkeit hat er mit zahlreichen Größen der Jazzmusik auf allen internationalen Festivals gespielt, u.a. mit Wynton Marsalis, Joshua Redman, David Liebman und Richard Bona.

Karten:
Musikalien Bartels, Braunschweig, Wilhelmstraße 89, Tel.: 05 31 / 12 57 12
Konzertkasse Braunschweig,
  Schloss-Arkaden & Medienhaus Braunschweiger Zeitung, Tel.: 05 31 / 1 66 06
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Eintritt: Abendkasse 28 € / 25 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

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Kritik zu “Dave Holland Trio”

Musikalischer Bewusstseinsstrom
Das Dave Holland Trio beeindruckt im Braunschweiger LOT-Theater

Er hat immer noch britischen Stil! Dave Holland, 69jähriger britischer Jazz-Ausnahme-Bassist. Trotz der über 40 Jahre, die er in New York lebt. Dezent gekleidet, humorvolles Overstatement zu Beginn des Konzertes. Dass Braunschweig nämlich am Sonntagmorgen so wunderbar friedlich sei. Und die Glocken des Domes erst! Aus dem Schlaf heraus der Beginn einer musikalischen Reise! Wie wundervoll!
So friedlich eröffnete auch das seit langem ausverkaufte Konzert. Man wolle übrigens ein Konzert in einem Stück spielen, kündigte Dave Holland noch an, ein Set ohne Ansageunterbrechungen und Pause. Es gebe auch nicht direkt Stücke, eher Ideen, die man entwickle. Man sei selbst gespannt, was dabei herauskomme.
Nun – zunächst eine Basslinie im tiefen Register, gefolgt von einem Ausflug in die Welt der Flageolettöne. Gitarrist Kevin Eubanks folgt den Basstönen, spielt erst parallel, geht dann dazu über, elektronisch verfremdete Klangflächen zu entwerfen. Und Obed Calvaire am Schlagzeug scheint noch zu sinnieren, wohin die Reise gehen soll, bis er plötzlich einen scharfen Beat unterlegt – und aus ist es mit Besinnlichkeit. Das Trio entwickelt sich in einem langen Crescendo zu einem regelrechten Tonkraftwerk, eine Studie in Sachen Dynamik.
Eubanks übernahm oft die Rolle des Einheizers. Angezerrte, repetitive Akkordfolgen, dazwischen unglaublich rasante, scharf akzentuierte Läufe. Mühelose Rückgriffe auf Fusion, Rock, Blues, rhythmisch vertrackt. Allein technisch umwerfend.
Das gilt nicht minder für Obed Calvaire am Schlagzeug. Rhythmische Kontrapunktik, wenn man so will. Da wird mit, gegen, über den Beat gearbeitet, mit der Bass-Drum die Akzente scheinbar beliebig verteilt, dass eine Freude ist.
Und plötzlich ein rasantes Zurückfahren in der Lautstärke und gleichsam entschuldigend mit Augenzwinkern zarte folkloreartige Melodien auf dem Bass und der Gitarre.
Nun, es war Echtzeit-Improvisation, eine Art musikalischer Bewusstseinsstrom. Und das Strukturprinzip blieb gleich: ein musikalischer Kern, der langsam ausgearbeitet wurde, dann die wuchtige Entfaltung mit vielen Schattierungen und – oftmals über Dave Hollands weitgespannte Soli – die Rückkehr in ruhiges Fahrwasser. Besonders schön anzusehen: Die Musiker hatten ihren Spaß dabei, musikalische Ideen zu kreieren, aber auch daran, die der anderen zu erkennen und zu beantworten. Ein wunderbares Aufeinander-Eingehen. Fliegende Stilwechsel vom Swing, über Latin, zu Funk, Post-Bop, sogar Walzer.

Zugegeben, es war nicht der Abend für die, die den Dave Holland mit den wunderbar singenden Basslinien hören wollten – die Zugabe vielleicht ausgenommen. Nichts für die Freunde der Melodie. Hier waren Harmonie-Tüftler am Werke, die Akkorde zergliederten, erweiterten und reduzierten. Klangkontraste entwarfen. Und eben absolute Rhythmiker, die eine große Spielfreude dabei zeigten, immer wieder auszubrechen und dem Erwartbaren nicht zu entsprechen. Ovationen zum Schluss.

Klaus Gohlke

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Kritik zu “NDR Big Band Plays the Music of Randy Brecker”

Einundzwanzig Männer – kein bisschen leise
Die NDR-Bigband brilliert im ausverkauften LOT-Theater gemeinsam mit dem Startrompeter Randy Brecker

Es geht ab, ohne Umschweife mittenhinein in „The first Melody of the Tune“, so der unwiderlegbare Titel des Openers. Kristallklare Funkriffs, satte Bläsereinwürfe, fanfarenartige Trompetentöne, unterirdische Korg-E-Sounds dazwischen. Zwanzig Musiker, die NDR-Bigband, bereiten den Boden für ihn: den amerikanischen Startrompeter und Gastsolisten Randy Brecker. Unübersehbar stattlich steht er mit der für ihn typischen Flatcap auf dem Kopf im Mittelpunkt der Bühne. Und wer vielleicht vermutete, dass da ein 70jähriges Star-Auslaufmodell noch mal eine Deutschlandrunde dreht und einer starken Band als Krücke bedurfte, der lag absolut daneben.
Sein Spiel war kraftvoll, präzise und wirkte selbst bei höchstem Tempo entspannt. Die elektronische Bearbeitung, insbesondere der Hall, ließ die Töne wie poliert strahlend klingen. Und er hielt die Spannung das gesamte Konzert durch.
Das allein ist schon beachtenswert genug, die Besonderheiten liegen aber woanders. Brecker vermochte die Musiker zu inspirieren, zu Höchstleistungen zu befeuern, ohne das abzufordern. Ganz allein durch seine Autorität, sein Können und durch das kluge Konzept, die Soli des Altmeisters unmittelbar zu kontrastieren mit jenen verschiedener Bandmitglieder. Sie hängten sich rein oder – wie Brecker es drastischer formulierte: „They‘re playing their asses off!“ Und weil die Bigbandmusiker allesamt nicht nur Teamplayer sind, sondern über hervorragende solistische Fähigkeiten verfügen, entwickelten sich oft heiße Dialoge zwischen den Protagonisten. Widerspruch, Überbietung, Umschreibung, Zerstörung und Anlehnung wechselten sich ab.
Live Musik hat immer auch eine visuelle Komponente. Es war spannend zu sehen, wie sich das Musizieren im Musiker selbst ausdrückt. Hier Randy Brecker, schwergewichtig in sich ruhend mit minimaler Gestik und Mimik. Dort z.B. der Tenorsaxofonist Sebastian Gille, dessen Körper wie unter elektrischen Schlägen im Tempo seiner Läufe hin und her zuckt, sich dreht und windet, noch oben gezogen wird und gestaucht, je nach Spielverlauf. Aber nicht als Showeinlage, sondern völlig unbewusst.
Die andere Besonderheit des Konzerts, war die Raffinesse der Arrangements. Die Band spielte ausschließlich Brecker-Kompositionen. Aber die Art, wie die einzelnen Instrumentengruppen einbezogen oder ausgeblendet wurden, wie die Sätze miteinander oder gegeneinander spielten, das zeigte das große Können des Arrangeurs und Dirigenten Jörg Achim Keller. Die Kompositionen zeigten dadurch eine erstaunlich neue Vielschichtigkeit.
Aber: Randy Brecker wurzelt tief im Jazz-Rock, kreiert so eigenartige Genres wie Heavy Metal BeBop. Es geht also um Rhythmen, um Beats. Und weil die NDR-Bigband keinen eigenen Schlagzeuger in den Reihen hat, engagierte man kurzerhand als Special Guest den in Deutschland dafür prädestinierten Wolfgang Haffner. Ganz Primus inter Pares ließ er es präzise grooven.
Und so wanderte man durch Blues-, Funk-, Latin Music-, Balladen-, Gospel – Anverwandlungen – und begeisterte das Publikum. Unklar blieb aber zweierlei: Warum spielen keine Frauen in der NDR-Bigband? Warum blieb man bei diesen Rhythmen sitzen, statt zu tanzen?

Klaus Gohlke

NDR Bigband
Plays the Music of Randy Brecker

LOT-Theater, Kaffeetwete 4a, 38100 Braunschweig

Randy Brecker, Trompete
Wolfgang Haffner, Schlagzeug
Jörg Achim Keller, Leitung
NDR Bigband

Das Konzert ist ausverkauft

Die NDR Bigband trifft Randy Brecker! Auf dem Programm ihres gemeinsamen Projektes im Braunschweiger LOT Theater steht eine Werkschau des Trompeters. “Die wird durch seine gesamte Karriere führen; die klassischen Brecker-Brothers-Sachen sind dabei, aber auch alles davor und bis heute”, sagt der Leiter und Arrangeur der NDR Bigband, Jörg Achim Keller.

Alles davor und heute
Damit ist der Rahmen für ein vielseitiges Programm gesteckt, schließlich wirkte Randy Brecker nicht nur entscheidend bei der Entwicklung des jungen Genres JazzRock mit: Er war Gründungsmitglied bei “Blood, Sweat & Tears”, rief mit seinem Bruder Michael sowohl die “Combo Dreams” (mit John Abercrombie und Billie Cobham) als auch die Supergroup “Brecker Brothers” ins Leben. Auch im akustischen Jazz hat er sich einen Namen gemacht: anfänglich im Horace Silver Quintett, später auch bei Art Blakeys Jazz Messengers, Charles Mingus, Carla Bley und nicht zuletzt mit seinen eigenen Quintetten, mit denen er einen persönlichen Stil entwickelte.

Aufs Wesentliche reduziert
“Seine Grundharmonik ist eigentlich sehr sparsam”, erläutert Arrangeur Keller, der Breckers Kompositionen für die NDR Bigband umsetzte. “Im Jazz sind ja oft fünf, sechs oder mehr Töne pro Akkord üblich, bei ihm ist es fast wie ein vierstimmiger Choralsatz. Aber welche Töne da sind, das macht halt diesen speziellen Sound aus.” Und Brecker räumt ein: “Ich hab gern eine Menge Spannung in meiner Musik.”

Von transparenten Orchestrierungen bis zum Wall of Sound
Und das gilt für seine Fusion/Funk-Kompositionen für die “Brecker Brothers” (die bekannteste darunter “Some Skunk Funk”) genauso wie für seine Auseinandersetzung mit dem funky hardbop von Clifford Brown, Lee Morgan und Freddie Hubbard über seine intensiven Flirts mit der Musik Brasiliens bis hin zum “Jazz Ballad Songbook”.
“All diese verschiedenen Stücke eröffnen jeweils andere Möglichkeiten”, sagt Jörg Achim Keller. “Die möchte ich mit der Bigband ausloten, von ganz transparenten Orchestrierungen bis hin zur soliden Wall of Sound.”

Karten:
Musikalienhandlung Bartels, Braunschweig, Schlosspassage 1, Tel.: 0531 / 125712
Touristinfo Braunschweig, Kleine Burg 14, Tel.: 0531 / 470-2040
Konzertkasse Braunschweig, Schloss-Arkaden & Schild 1a, Tel.: 0531 / 16606
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– Abendkasse
– und weitere …

Eintritt: Abendkasse 25 € / 22 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Porträt über Jürgen Niemann

Ein Mann mit höchsten Ansprüchen oder
Mehr geht nicht!

Hans-Jürgen Niemann, die graue Eminenz des Braunschweiger Jazz, tritt ab

Er ist ein Strippenzieher. Einer, der im Hintergrund die Fäden spinnt. Der seit 25 Jahren dafür sorgt, dass in Braunschweig hochkarätige Jazzmusik zu Gehör gebracht wird. Und für Jazzmusiker im In- und Ausland Braunschweig eine Top-Adresse ist. Die Rede ist von Hans-Jürgen Niemann.
Wir treffen uns im Gebäude der Städtischen Musikschule Braunschweig. Dort ist er seit langem schon Klavierlehrer. Etwas retro schaut er aus mit seiner John-Lennon-Brille und dem schulterlangen, gelockten Haupthaar. Der Weg führt in seinen Unterrichtsraum, zwei Wände sind behängt mit Plakaten von Musikereignissen, für deren Zustandekommen er verantwortlich war.
„Naja, ich nicht alleine, das waren alle in der damaligen Musikerinitiative Braunschweig.“ Eine typische Äußerung des jetzt 62-jährigen. Er ist nicht der Mann, der in der ersten Reihe stehen will.
Sein Job ist das „Booking“, die Verpflichtung von Musikern. Das klingt einfach, ist aber reichlich komplex. „Man muss ja gute Musiker finden, die auch zum Publikumsgeschmack passen. Die Kostenfrage stellt sich sofort. Findet man Sponsoren, weil der Eintritt die Kosten nicht abdeckt? Du musst die Verträge mit den Leuten oder ihren Agenturen abschließen. Wie kommen die Künstler nach Braunschweig, wo übernachten sie? Wie sieht es mit dem Auftrittsort aus? Wer betreut sie vor Ort? Welche Anforderungen stellen sie bezüglich der Instrumente, der Technik? Also, da hat man schon sein Tun!“
Der Blick auf die Plakatwand macht Staunen. Eine Art Who’s who? des Jazz. John McLaughlin, Betty Carter, Archie Shepp, Charles Lloyd, Joachim Kühn, Carla Bley, Elvin Jones , um wirklich nur ein paar Namen zu nennen. Jürgen Niemann hat einen stattlichen Ordner hervorgeholt und schwelgt in Erinnerungen.
„Angefangen habe ich eigentlich mit dem Jazzspektrum 1990 nach der deutsch-deutschen Vereinigung. Fünf Formationen aus der DDR haben wir im Städtischen Museum und vor der Magnikirche aufspielen lassen. Es war eine heiße Sache. War ja nicht wie heute mit Internet, Handy, E-Mail, Facebook. Briefe per Einschreiben mit Rückschein und andere längst vergessene Verkehrsformen waren angesagt.“
Gibt es rückblickend so etwas wie Highlights? „Lebenslang begleiten wird mich Diana Kralls Auftritt auf dem Burgplatz und die ganzen Umstände. Sie war schon ein Star, aber keine Allüren. Drei Tage blieb sie in Braunschweig, war hier schwer am Shoppen. Dass hier kein Gedöhns gemacht wurde, hat ihr ungemein gefallen.“
Und Tiefpunkte? „Nein, eigentlich nicht. Nur Aufreger. Wenn ein Bass nicht aufzutreiben ist. Oder die Hotelbuchung aufgekündigt wird. Ein großer Büfett-Bahnhof ins Leere läuft, weil der Künstler zu erschöpft ist und nur schlafen will.“
Niemann blättert weiter in seinen Dokumenten. Er war auch sonst recht rege. Mitbegründer von „Radio Okerwelle“, der „Braunschweiger Kulturnacht“ – ein Tanz auf einigen Hochzeiten. Immer mit sehr hohem Anspruch, was freilich zu Frustrationen führte. „Ich wollte immer ein möglichst breites musikalisches Spektrum abdecken. Das war nicht leicht durchzusetzen.“
Alles wäre nicht so gelaufen, wie es gelaufen ist, wäre da nicht die Unterstützung seitens des Kulturamtes der Stadt Braunschweig gewesen, der zahlreichen Sponsoren, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Helfer und Ermutiger. „Das war ungemein wichtig. Aber – ob eigentlich klar geworden ist, welchen Stellenwert Braunschweig in der internationalen Jazzszene spielt, dass wir eine Topadresse sind in Deutschland, da bin ich mir nicht so sicher.“ Schade eigentlich.

Jürgen Niemann hat das kulturelle Leben dieser Stadt entscheidend mitgeprägt. So ein Job schlaucht. Es muss mal Schluss sein. Wie es nun weiter geht? Die Initiative Jazz-Braunschweig ist am Improvisieren. Wer will so eine Aufgabe ehrenamtlich fortführen? Das hängt auch davon ab, wie die Stadt, die Sponsoren, die Jazz-Interessierten mitziehen. Braunschweig hat hier einen Ruf zu verlieren, was man ja nicht wollen kann.

Klaus Gohlke

Marco Ambrosini & Jean-Louis Matinier
– Inventio –

Theatersaal im Lindenhof, Kasernenstraße 20, 38106 Braunschweig

Marco Ambrosini, Nyckelharpa
Jean Louis Matinier, Akkordeon

Ambrosini & MatinierInventio ist in jeder Beziehung ein schöpferisches Projekt, was sich schon bei den Instrumenten zeigt: Matinier hat das Akkordeon aus dem von ihm gewohnten folkloristischen Rahmen gelöst, und Ambrosini ist einer der wenigen Musiker außerhalb der Folkmusik Skandinaviens, die Nyckelharpa spielen.

Das Programm, das Ambrosini und Matinier hier bringen, ist von den barocken Sonaten von Bach und Biber inspiriert, nimmt aber auch z. B. lyrische Kadenzen Pergolesis auf. Deren Meisterwerke haben die beiden umempfunden und neu arrangiert und durch eigene Kompositionen ergänzt.

Auf dem Weg von den alten Werken zur modernen Musik improvisieren sie gemeinsam und finden dank des ungeahnten Zusammenspiels ihrer Instrumente neue Klangfarbenkombinationen. So ist die Musik wieder einmal das Medium, das die Trennung von Vergangenheit und Gegenwart auflöst und Brücken zwischen den Genres baut.
Insofern ist die Musik von Ambrosini und Matinier grenzenlos.

Bis zum Barock war die Nyckelharpa ein verbreitetes Instrument, bis es von der Geige und anderen Streichinstrumenten verdrängt wurde. Ein Instrument, das Geschichte atmet. Es klingt anders, fremd, überkommen aus einer längst vergangenen Zeit. Ambrosinis Spiel geht zwar auf diese historische Befangenheit ein, aber er bleibt dabei modern und verhilft der Nyckelharpa doch zu neuem Glanz.

Marco Ambrosini (*1964 in Forlì/Italien) studierte zunächst Violine und Viola und Komposition in Ancona und Pesaro. Seit 1983 spielt er Nyckelharpa, die er gemeinsam mit den Geigen- und heutigen Nyckelharpabauern Condi und Osann weiterentwickelte. Er arbeitet als Komponist und als Solist sowie als Mitglied verschiedener Ensembles für Alte Musik, Barockmusik und zeitgenössische Musik (u. a. Studio Katharco, Oni Wytars (Deutschland), Els Trobadors (Spanien), Unicorn, Accentus, Clemencic Consort, Armonico Tributo Austria (Österreich), Kapsberger (Rolf Lislevand, Norwegen), L’Arpeggiata (Christina Pluhar, Frankreich). Daneben spielt er auch mit Michael Riessler und Jean-Louis Matinier. 1994 spielte er Barock-Konzerte für die Moskauer Philharmonie als Nyckelharpa-Solist mit dem Ensemble LAD. Konzerte und Tourneen führten ihn in mehr als 25 Staaten. Seine Diskografie umfasst über 110 CDs.
Marco Ambrosini lebt heute in Deutschland.

Jean-Louis Matinier (*1963 in Nevers/Frankreich) ist einer der führenden zeitgenössischen Akkordeonspieler im Bereich des Jazz und der Weltmusik.
Er hat klassische Musik studiert, sich dann dem Jazz und anderen Formen improvisierter Musik zugewandt. Von 1989 bis 1991 spielte er im Nationalen Französischen Jazz-Orchester unter Claude Barthélémy. Seine Spielweise ist zwar stark durch den europäischen, kammermusikalischen Jazz geprägt; durch seine spezifische Aufnahme der Akkordeontradition wirkt diese Befangenheit allerdings aufgelöst. Seine Kompositionen sind einfallsreich und er wendet sein Instrument vielseitig an. Matinier tritt meist mit anderen Instrumentalisten auf, so z. B. Renaud Garcia-Fons, der ihn in einem sehr interaktiven Duo auf seinem Kontrabass begleitet. In Deutschland wurde er zunächst durch Auftritte mit Michael Riessler bekannt. Matinier hat auch mit Louis Sclavis, Gianluigi Trovesi, Michel Godard, François Couturier, Philippe Caillat und Anouar Brahem gespielt und arbeitet auch zur Zeit mit einigen dieser Musiker zusammen.

In Braunschweig haben wir ihn mit einigen der genannten Musiker schon zu Gast gehabt, so mit Anouar Brahem (Le pas du chat noir), Renaud Garcia-Fons (Alboréa) und Miichael Riessler (Silver and Black).

Karten:
Musikalienhandlung Bartels, Braunschweig, Schlosspassage 1, Tel.: 0531 / 125712
Touristinfo Braunschweig, Kleine Burg 14, Tel.: 0531 / 470-2040
Konzertkasse Braunschweig, Schloss-Arkaden & Schild 1a, Tel.: 0531 / 16606
– Online über eventim
– Abendkasse
– und weitere …

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Eintritt: Abendkasse 19 € / 17 € (ermäßigt) / 10 € (SchülerInnen)

Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturinstitut der Stadt Braunschweig

Kritik zu “Marco Ambrosini & Jean-Louis Matinier – Inventio –”

Keine Kisten, keine Kästen
Marco Ambrosini und Jean-Louis Matinier spielen ein hinreißendes Crossover-Konzert im Braunschweiger Lindenhof

Ja- was ist das denn? Einige Konzertbesucher erheben sich von ihren Sitzen. Was spielt denn der Mann da vorn für ein Instrument? Der eine spielt ein Akkordeon, das ist klar, aber der andere? Es ist zweifelsfrei ein Streichinstrument. Aber die Greifhand ist hier eine „Drückhand“. Die Tonhöhe wird offenbar durch eine mechanische Tastatur bestimmt. Welch eigentümlicher Klang auch!

Und was ist das für eine Musik, die die beiden da zelebrieren? Die Initiative Jazz Braunschweig hat eingeladen, also müsste es sich doch um Jazz handeln. Ist es aber irgendwie nicht. Es klingt nach alter Musik, gleichzeitig aber hat es auch einen Folk-Touch. Es kommt elegisch daher, dann wieder gibt es rasante Läufe. Die Taktart wechselt von gerade auf ungerade. Auch die Tonart wechselt mehrfach. Verwirrend und interessant zugleich.

Der Italiener Marco Ambrosini mit seiner skandinavisch sich herleitenden Nyckelharpa, zu deutsch: Tastenfidel, und der Franzose Jean-Louis Matinier am Akkordeon, spielen ihr Eröffnungsstück unbeirrt zu Ende. „Inventio 4“ von Johann Sebastian Bach. Eigentlich eine zweistimmige Etüde von knapp einer Minute Dauer. Hier improvisatorisch ausgedehnt auf mehr als fünf Minuten.

Dann eine Konzertunterbrechung. Ambrosini erläutert das Instrument und erklärt den spezifischen Hallklang, der durch Resonanzsaiten entsteht. Bei der begrifflichen Bestimmung ihrer Musik aber bleibt er offen. Schon vorher im Gespräch fragt Matinier: „Wozu braucht ihr immer Kisten und Kästen zum Einordnen? Es ist Barockmusik dabei, durchaus. Bach, Biber, Pergolesi. Aber es ist auch neue Musik. Unsere Kultur wird widergespiegelt. Beschreibungen lehne ich ab. Hör einfach zu, spüre deinen Empfindungen nach!“

Gesagt, getan. Was aber nicht so einfach ist. Der Eindrücke sind viele. War da nicht ein Vivaldi-Rückgriff? Dann wieder ein Ausflug in tonal-offene Räume, sehr schräg. Es klingt orientalisch oder aber eher ostasiatisch? Düsteres durchbrochen von tanzbaren Rhythmen. Bestimmt einer der beiden? Wie gelingt nur dieses Zusammenspiel? Virtuose Dreiklangbrechungen, dann wieder kontrastiv chromatische Auf- und Abstiege. Ein tiefes Wissen um die Metren.

In der Tat, es ist einfach Musik auf höchstem Niveau, völlig entspannt, absolut präzise vorgetragen. Eine Aufhebung von alter, neuer, von genre-spezifischer Musik. Eine Wanderung durch Klangräume, -zeiten und –formen. Lang anhaltender Beifall für diesen Ausflug in musikalische Freigeisterei.

Klaus Gohlke

Interview mit Dave Holland

Englishman in New York: Starbassist Dave Holland im Interview

Außergewöhnliches erwartet die Braunschweiger Jazzfreunde: Der 69jährige Ex-Miles-Davis-Bassist Dave Holland, zweifelsfrei einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Bassisten der Welt, wird am Sonntag, dem 13. März 2016 im Braunschweiger LOT-Theater mit seinem aktuellen Trio gastieren. Aus diesem Anlass sprach Klaus Gohlke vorab telefonisch mit dem in New York lebenden Jazzmusiker.

Hi, Dave, im Frühling gehst du auf Europa-Tour. Was treibt dich?

Ich hatte in der letzten Zeit verschiedene Projekte hier laufen. Darunter das Trio mit Kevin Eubanks an der Gitarre und mit Obed Calvaire am Schlagzeug. Wir spielten in Russland, und das war so eine gute Zusammenarbeit, dass ich gern wieder mit ihnen arbeiten wollte. Die Reiseumstände sind natürlich eine Herausforderung. Das Fahren, Gepäckprobleme, die Hotels – aber wenn man dann ein Publikum begeistern kann, dann ist das alles nachrangig.

Was ist das Besondere an diesem Gitarren-Trio? Ist es eine Erinnerung an “Gateway”, dein erstes berühmtes-Trio mit Jack DeJohnette und John Abercrombie Mitte der 70er Jahre?

Nein, es ist kein Blick zurück, kein Revival. Die Musiker und die Musik damals, das war alles einzigartig. Aber wir haben andere Zeiten, und Kevin und Calvaire sind wiederum ganz eigenständige Musiker mit ihren sehr spezifischen musikalischen Vorstellungen und Fähigkeiten. Das Interessante am Trio ist ja die besondere Intensität des musikalischen Gesprächs. Und dann gefällt mir der Sound von Gitarre und Bass im Zusammenspiel. Dazu muss ich noch sagen, dass Kevin Eubanks einen ganz eigenen Klang auf seinem Instrument gefunden hat, was ja nicht einfach ist. Und Calvaire ist ein außergewöhnlich feinfühliger Rhythmiker.

Dave, du spieltest 1968 im Alter von gerade mal 20 Jahren im berühmten Londoner Jazzclub, dem Ronnie Scott’s. Da saß Miles Davis und engagierte dich vom Fleck weg. Mit einem Male warst du Teil seiner Supergroup u.a. mit Herbie Hancock, Tony Williams, Keith Jarrett, Chick Corea. War das das Größte in deinem Leben?

Es war eine riesige Sache, und die Zusammenarbeit war außerordentlich bedeutsam für mich. Aber – man kann das Leben nicht auf eine Sache reduzieren. Es waren zwei Jahre. Viele wunderbare Musiker und Konzerterlebnisse erlebte ich seitdem. Man entwickelt sich ja weiter.

Du spielst den großen akustischen Bass. Warum nicht den leichter zu handhabenden E-Bass?

Oh, ich spiele auch Bass-Gitarre. Ich hab den Bass nicht wegen seiner Größe und seines Gewichts ausgewählt (lacht). Nein. Ich habe, als ich 15 Jahre alt war, den Oscar Peterson-Bassisten Ray Brown gehört. Der Klang, den er auf diesem Instrument erzeugte, hat mich umgeworfen. Es war unglaublich. Liebe auf den ersten Blick oder aufs erste Hören. Auch Leroi Vinnegar war so ein Klangzauberer. Es ist der Klang dieses Instruments, der mich begeistert. Also Platz 1: Akustik-Bass, Platz 2: Bass-Gitarre, Platz 3: Cello.

Du spielst nun schon lange Jazz. Siehst du eine Entwicklung des Jazz, eine bestimmte Richtung?

Es gibt eine Menge Richtungen, nicht die eine. Es herrscht eine Art Individualisierung vor. Traditionen werden neu interpretiert. Man expandiert in andere Musik-Kulturen und –in andere Traditionen hinein. Eine Art Inklusion. Die Sprache der Musik hat sich ungemein erweitert. Wenn ich bei meiner Lehrtätigkeit sehe, welche Möglichkeiten die StudentInnen über die neuen Medien haben, sich Stile, Material, Techniken anzueignen, kann ich nur staunen. Es ist enorm, was sie alles in kurzer Zeit aufnehmen können. Es gab Zeiten, da waren bestimmte Stile dominant. Heutzutage aber nicht. Man hat dadurch viel Raum für Experimente und Annäherungen, für Erweiterungen der Ausdrucksmöglichkeiten Ich selbst habe mich mit Flamenco-Musik befasst, mit nordafrikanischen Oud-Spielern gearbeitet, mit Zakir Hussain, dem indischen Tabla-Virtuosen, gespielt. Dieses Cross-Over ist eine sehr schöne Sache.

Dave, du bist Jahrgang 1946, in England, Wolverhampton aufgewachsen. Hat dich damals nicht auch die populäre Musik mittschiffs getroffen?

Ja, klar. Ich hörte amerikanische und englische Pop-Musik. Bill Haley, Little Richard, diese ganzen Rock’n’Roller. Auch Ray Charles, Motown. Da hab ich auch in Bands vor Ort mit gespielt. Aber dann kamen – wie gesagt – Ray Brown, Leroi Vinnegar, Charles Mingus und der Jazz.

Du bist seit langen ein “Englishman in New York”. Du kennst den Sting-Song. Aber als „legal alien“ (legaler Einwanderer, Fremdling) fühlst du dich nicht?

(Lacht) Nein, absolut nicht. Ich wollte schon immer nach New York wegen der Musikszene hier. Hier sind auch meine Familie, meine Enkel. Ich wohne außerhalb der Stadt, dem Mid Hudson Valley. Eine wunderbare Gegend. Aber – ich freue mich auf Braunschweig, wir sehen uns hoffentlich.
Das Dave Holland Trio gastiert am Sonntag, dem 13. März 20 Uhr im LOT-Theater in Braunschweig. Karten im üblichen Vorverkauf und Online bzw. an der Abendkasse: www.lot-theater.de